Teil 2: Frankreich

Normandie und Bretagne einmal anders

Von Gina Egenolf

Einige Monate sind seit dem Ausbruch der Corona-Krankheit vergangen. Die Reisebranche im Jahr 2020 bewegt sich von einem Katastrophen­monat zum nächsten. Eine Frage verfolgt uns als Rei­seleiter bei allen unseren Touren: Kommt die Reise zustande und wird sie durchgeführt? Springen die Gäste vorher ab oder wagen sie die Reise in das „un­bekannte Europa“? Ich erwähnte in meinem ersten Beitrag über Algerien kurz, dass ich auch für einige europäische Länder Reiseleitungen durchführe und so bin ich diverse Male im Jahr in Frankreich, mei­ner „alten Reiseliebe“ unterwegs. Frankreich das Land mit der guten Küche und das Land für Indivi­dualisten schlägt sich in diesen Zeiten tapfer, beson­ders im Tourismus. Durch seine Metropole Paris und seine kulturellen Highlights steht es normalerweise international an der vordersten Stelle des Tourismus, wenn nicht – Corona wäre!

Neue Regeln auf Busreisen

Den Auftrag zu der geschilderten Reise im Corona-Jahr bekomme ich von meinem deutschen Hauptauf­traggeber, ein Reiseveranstalter, der professionelle Flug- und Busreisen in Europa und Weltweit durch­führt – natürlich nur unter Berücksichtigung der be­sonderen Bedingungen mit dem angezeigten Coro­na-Regeln, z.B. Mindestabstand im Reisebus. Das ist bei einer Gruppengröße von 20 Personen in einem 56-Sitzer-Bus nur zu regeln, wenn zwei der mitreisenden Singles auf den Mindestab­stand von 1,50 Metern ver­zichten. Trotz guter Vorbereitung durch den Veranstalter und Information der Reise­gäste starten wir am Abfahrtsmorgen nach langen Diskussionen alle mit ein wenig ge­mischten Gefühlen.

Da sind auch für mich die neuen Regeln welche vom Veranstal­ter vorgegeben sind zu berücksichtigen: beim Service immer Handschuhe tragen, die Maske aufsetzen, Mindestabstand hal­ten zuzüglich zu den sowieso vorhandenen Hygiene­vorschriften einer Busreise usw. Für den Kollegen, der sich als erfahrener langjähriger Busfahrer mit ho­hem Fachwissen herausstellt gelten wieder andere Vorschriften, die einzuhalten sind. Wir nehmen uns vor, unseren Reisegästen die Tour so angenehm wie möglich zu gestalten. Was eigentlich auch kein Prob­lem darstellen sollte, wenn da nicht zwei Damen aus dem medizinischen Bereich wären, welche die Reise schon vor Corona-Ausbruch buchten und die Reise nur mit bestimmten Vorbehalten antreten. Wir wer­den sehen und ich denke an meine Algerien-Reise zu Beginn des Jahres zurück, die mit einer großen Grup­pentoleranz noch ganz gut ausging.

Erstes Ziel erreicht: Willkommen in Metz

Schnell erreichen wir unser erstes Ziel dieser Rund­reise durch die Bretagne und Normandie. Zehn Tage wird sie dauern und startet in der Stadt Metz. Metz war der Stammsitz der Karolinger und freie Reichs­stadt die sich aus einer Siedlung der Kelten entwi­ckelt hatte. Sie birgt deshalb ein reiches Erbe.

Wir gehen durch schön restaurierte Straßen in Rich­tung Kathedrale. Da Sonntag ist, bleibt es in der Stadt verhältnismäßig ruhig und an unserer ersten Station, dem Place St. Louis, können wir die schönen alten Fachwerkhäuser bewundern. Hier wurde im Mittelal­ter Geld gewechselt und es wurden Geschäfte getätigt, die den Händlern Reichtum brachten. Die Stadt hatte seit dem Mittelalter intensive Handelskontakte nach Italien und die Stadt atmet dies aus. Apropos auch Krankheitserreger bahnten sich ihren Weg über diese alten Handelsstraßen. Da half zu diesen Zeiten nur der „Liebe Gott“ und so erreichen wir die Kathedrale St. Etienne. Wir betreten diese mit 41 Metern Gewöl­behöhe und wunderbaren Glasfenstern lichtdurch­flutete Kathedrale, die auch als „Laterne des lieben Gottes“ bezeichnet wird. Wir schlendern bis zum Opernplatz und die Sonne scheint. Dann geht jeder nach seinem Interesse des Weges, locken doch die zahlreichen Lokalitäten, die trotz „Corona“ geöffnet haben.

Weiter geht die Fahrt zu den Schlachtfeldern von Verdun, einem bedeutenden Ort europäischer Ge­schichte und besinnlichen Momenten in Rückbe­sinnung an den Ersten Weltkrieg. Wir erreichen die Stadt Rouan. Nach einem ausgiebigen Frühstück am Hotelbuffet (Zutritt nur einzeln) fahren wir in die In­nenstadt des Ortes der von Viktor Hugo auch als die „Stadt der 100 Kirchtürme“ bezeichnet wurde. Dort treffen wir an der Kathedrale vor dem Fremdenver­kehrsamt, ein schöner Renaissance-Bau, unsere lo­kale Stadtführerin. Hier saß einst Monet und malte seine berühmten Kathedralen-Bilder. Vor der Kathedrale Not­re-Dame erfahren wir etwas von der Baugeschichte dieses Ge­bäudes, welche sich an der Front des Baus ablesen lässt: Romanik, Gotik, Renaissance und schließ­lich die Vollendung des Vierungs­turms erst im 19. Jahrhundert.

Konfrontation mit Pandemien vergangener Zeit

Wir laufen weiter zur Kirche St. Maclou die von alten Fachwerk­häusern umgeben ist. Den Höhe­punkt bildet ein Besuch des Bein­hauses „Aitre St. Maclou“ aus dem 14.Jahrhundert. Hier war damals der Friedhof der Pest­kranken. Unweigerlich kommt das Thema auf Krankheiten und Corona. Wie mag es den Kranken damals ge­gangen sein? Einen Ur­sprung und gar Bakte­rien kannte man nicht. Man lebte mit dem all­täglichen Tod und dem Sterben.

Vorbei an der „Rue du Gros Horloge“, einem großen Uhrturm aus dem 14.Jahrhundert er­reichen wir den „Place du Vieux Marché“ auf dem ein interessanter Kirchenbau dem wohl historisch wichtigsten Ereignis der Stadt, der Verbrennung der Jeanne d‘Arc im Jahr 1431 ge­widmet ist. Sie kämpfte für ein von den Engländern be­freites Frankreich. Schnell ist die Zeit vergangen mit existentiellen Fragen, die bis heute Gültigkeit haben.

Der Bus wartet schon und wir fahren weiter in Rich­tung Etretat, einem Badeort am Ärmelkanal. Künstler und Literaten entdeckten schon Ende des 19. Jahr­hunderts dieses nette von Klippen umrahmte Örtchen.

Klippen umrahmte Örtchen. Entsprechend ist der Andrang, denn in diesem Jahr machen die Franzosen verstärkt Ferien im eigenen Land. Ihnen ergeht es wie uns. Also Mundschutz an, der Pflicht ist, und wir gehen los. Da die Interessen variieren, geht jeder seinen eigenen Weg, denn verlaufen kann man sich in Etretat nicht. Zwei Klippenwege führen zu den Aussichtspunkten 75 Meter über dem Meer. Die Klippen aus Feuerstein dominie­ren die Szenerie. Nicht umsonst heißt die Küste „Alabasterküste“. Trotz der Kiesel ist der Strand an diesem heißen Tag voll mit Ba­degästen, Zutritt nur mit Mund­schutz! Im Ort gibt es einen Bo­tanischen Garten und natürlich kann man auch zu einer längeren Wanderung starten, bei der Schwindelfreiheit von Vorteil ist. Ich stelle fest, dass ich hinter meiner an­geblich vor Viren sichernden Maske nicht genügend Luft beim steilen Aufstieg bekomme.

Vorbei an Le Havre über die „Pont-de-Norman­die“, der Schrägseilbrücke mit der größten Spann­weite Europas erreichen wir die Stadt Honfleur an der „Cote Fleurie“. Der Maler Eugène Boudin be­kannt für seine aufregenden Küstenlandschaften wurde hier geboren und andere wie Pissarro, Cezanne und Renoir kamen und so wurde Hon­fleur zur Wiege des Impres­sionismus. Beeindruckend ist die Kirche Sainte Catherine die von Schiffszimmerleuten errichtet wurde.

Zu Besuch bei Inspektor Dupin

In den folgenden Tagen reiht sich eine beeindrucken­de Sehenswürdigkeit an die andere. St. Malo, Mont St. Michel, alles Orte die norma­lerweise ein sehr buntes tou­ristisches Treiben vermuten lassen, erscheinen fast idyllisch aufgrund der mangelnden ausländischen Touristenmassen aus dem Rest Europas oder gar Asien. Mich streifen Gedanken wie: Frankreich wie vor 40 Jahren! Durch faszinierende Landschaften und vom frischen, vom Meer wehenden Wind durchlüftet erreichen wir den malerischen Inselort Concarne­au, der vor allem durch den Krimihelden Inspektor Dupin bekannt wurde. Einige Reisende wollen die Romanstätten besuchen. Es gibt einen kleinen Floh­markt, trotz Corona, und ein wenig Zeit zur Muße.

Eine unserer letzten Statio­nen ist das be­rühmte Schloss von Angers mit seinem berühmten „Wandteppich­zyklus von Angers“ aus dem 14.Jahrhundert der die „Apokalypse nach der Offenbarung des Johannes darstellt“. Beeindruckend ist auch das Schloss wel­ches durch die architektonische Besonderheit der Baumaterialien hervorsticht: Schiefer und Tuffstein. Es ähnelt eher einer Festung.

Weiter fahren wir nach Chartres mit wohl einer der beeindruckendsten Kathedralen Frankreichs und ihren berühmten Glasfenstern. Auch hier ein wenig warten aber durch die fehlenden Menschenmassen kommen wir gut durch. Corona sorgt dafür, dass sich der Tourismus in einem der wich­tigsten Reiseländer der Erde in Grenzen hält. Wir profitieren davon und sollte diese Reise nach schönen Erlebnissen etwa gut zu einem Ende kommen?

Im Bus ist die Atmosphäre nicht ganz so gut, gibt es doch unterschiedliche Auffassungen und Lebenskonzepte, die nicht unbedingt abhängig vom Alter und Geschlecht sind. Die Meinungen über Abstände, miteinander umgehen und Informationsstand gehen auseinander und verhindern das Einlassen mit einer anderen europäischen Kultur und den verschiede­nen Lebenskonzepten. Dann am nächsten Morgen in unserem letzten Hotel bei Paris die endgültige Ent­scheidung vom Auswärtigen Amt, die Ile-de-France zum Risikogebiet zu erklären.

Corona-Test nach Heimkehr

Dort wachen wir am nächsten Tag auf. Nichts ist mehr wie vorher. Ich habe irgendwie ein Flashback – das gab es in diesem Jahr schon einmal. Noch vor dem Frühstück erreicht mich die Nachricht der sich schon am Vortag andeutenden Reisewarnung. Beim Veranstalter gab es schon früh am Morgen Krisensit­zung. Für uns heißt es, dass wir uns nach Rückreise beim Gesundheitsamt am Wohnort melden müssen, um einen Corona-Test zu machen. Bei der Teststelle im Saarland werden wir auf unsere Heimatorte ver­wiesen und so fahren wir gen Osten. Zuhause müs­sen alle in Quarantäne. Ich muss noch einmal die Republik mit der Deutschen Bahn durchmessen um nachhause zu kommen.

In unserem Wohnzimmer über dem Tisch klafft eine Lücke. Hier hing mal ein schöner Kronleuchter. Sie erinnern sich noch? Er krachte im März nach un­ten. Ich erzähle zuhause von meiner Frankreich-Reise wo es nicht so viel Tourismus in diesem Jahr gibt und wir planen noch in diesem Jahr eine private Reise mit PKW nach Italien. Die wenigen Touristen müssen wir nutzen.

Ich begebe mich in mein Schicksal. Am Morgen gehe ich zum Corona-Abstrich bei meinem Haus­arzt. Heute nach der Rückkunft habe ich gleich einen Termin bekommen. Das Ergebnis bekomme ich am nächsten Tag. Unser aller Corona-Test geht übrigens negativ aus, wir sind also alle gesund aus Frankreich heimgekehrt.

Jetzt freue ich mich auf unseren Urlaub in Italien an der Amalfiküste! Mein Blick fällt wieder an unse­re Zimmerdecke. In Italien soll es auch schöne Kron­leuchter geben.

Fortsetzung folgt und es bleibt spannend!