„Gemeinsam statt einsam“
Vielfältige Angebote für Menschen mit Demenz und Angehörige
29. Juli 2022
Taunusstein (ut). Die „Seele einmal baumeln lassen“. Das konnten Taunussteiner:innen, die an Demenz erkrankte Angehörige betreuen, bei einem Besuch des Kunsthauses in Niederlibbach. Eine Idee von Angelika Wust, die im Rahmen der Demenzarbeit der Stadt Taunusstein für die Angehörigengruppe zuständig ist. Diese ist nur eines von mehreren Angeboten, mit denen die Stadt Hilfe für Menschen, die von Demenz betroffen sind, bietet. Die Federführung liegt bei der Leitstelle Älterwerden der Stadt. Ihr Leitwort lautet „Demenz würdevoll begleiten“.
Diese Betreuungsangebote haben klar formulierte Ziele: „Ambulant vor stationär“. Menschen mit Demenz sollen möglichst lange in ihrem vertrauten Lebensumfeld bleiben, um ein selbst bestimmtes Leben führen zu können. Dazu Waltraud Möhrlein von der Leitstelle: „Menschen mit Demenz würdevoll behandeln und die Erkrankung im Blick behalten.“
Ein zweites Ziel ist die Entlastung der Angehörigen, ein weiteres Ziel die Selbsthilfe. Dazu bietet die Stadt Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch sowie Schulungen an. Wichtig ist bei den Demenzangeboten auch ihre Niederschwelligkeit und die Umsetzung des Anspruchs „Gemeinsam statt einsam“. Denn die Erfahrung zeigt, dass sich Menschen mit Demenz stabilisieren, wenn sie Außenkontakte in Gemeinschaft wahrnehmen können“, betont Möhrlein.
Vielzahl engagierter Freiwilliger
Wichtiges Ziel der Stadt ist aber auch die Qualität der Angebote. Sie sollen in einem Mix aus qualifizierten Fachkräften und qualifizierten ehrenamtlich Engagierten erfolgen. „Die Demenzarbeit in unserer Stadt wäre ohne eine Vielzahl von freiwillig Engagierten nicht zu leisten“, stellt dazu Bürgermeister Sandro Zehner fest. Zumal das Thema Demenz die Stadtgesellschaft auch in Zukunft beschäftigen werde und noch weiter an Bedeutung gewinne.
Drei Themen beherrschten besonders die Angehörigen, stellt Susanne Poth, Koordinatorin der Einzelbetreuung, immer wieder fest. Es ist der Schmerz über den Verlust der jahrzehntelang vertrauten Partnerbeziehung, zudem oft Schuldgefühle, weil man fürchtet, nicht genug zu machen. „Angehörige sind oft ratlos, wie sie mit erkrankten Angehörigen am besten umgehen können“, beschreibt Waltraud Möhrlein ihre Erfahrungen aus der Beratungsarbeit. Die Angebote der Stadt sollen den Betroffenen dabei helfen, Wege für den Umgang mit Demenz zu finden. Oft sind es einfache Tipps, wie etwa die Vermeidung von Diskussionen mit dem Kranken. „Nicht mit der Realität konfrontieren, wenn sie nicht mehr verstanden wird“, rät Möhrlein. Also die Situation akzeptieren und Menschen mit Demenz so nehmen wie sie sich in ihrer Erkrankung zeigen. Denn ansonsten drohe die Gefahr, dass sich Angehörige mit überhöhten Ansprüchen an sich selbst überfordern und im schlimmsten Fall selbst krank werden. Eine gute Mischung aus Humor, bedarfsgerechte Entlastung und realistischen Zielen helfe gegen so manche Enttäuschung.
Tipps für den Umgang mit Konfliktsituationen
„Die Erkrankung bringt mit sich, dass Angehörige nicht mehr ’nur‘ Partner oder Kinder sind, sondern oft die einzig versorgenden Personen innerhalb der Familie“, schildert Waltraud Möhrlein. Es helfe sehr, diesen Rollenwechsel zu akzeptieren und vom erkrankten Partner keine Dinge mehr zu erwarten, die er nicht mehr leisten kann, denn: „Kein Irrtum wird mit Absicht getan!“ Ausdrücklich warnt Möhrlein vor „überhöhten Ansprüche der Angehörigen an sich selbst, zu jeder Zeit alles richtig machen zu wollen“. Menschen mit Demenz dürfe es auch einmal langweilig sein, auch schlecht gelaunt dürften sie einmal sein, ohne das Angehörige sofort einschreiten müssen. Förderlich im Umgang ist es, Konfliktsituationen zu entschärfen. Dabei helfe oft schon „ein freundlicher und zugewandter Ton“, denn Vorwürfe und aufreibende Diskussionen machten alles nur schlimmer. Klare und kurze Sätze seien hilfreich. Bevor eine Situation eskaliert, lieber mal kurz den Raum verlassen. Das ist allemal hilfreicher, als in einer kritischen Situation dem erkrankten Menschen konfliktreich erklären zu wollen, dass der Himmel blau und nicht grün ist. „Sich in die emotionale Welt des Erkrankten wohlwollend einfühlen, die täglichen Ängste, Sorgen und Nöte von Menschen mit Demenz verstehen und damit umgehen lernen, ist das, was erkrankten Menschen am allermeisten hilft“, resümiert Möhrlein.
Doch nicht selten ist die Diagnose Demenz noch mit Scham behaftet. Angehörige schämen sich für den Kranken, müssen deshalb nicht selten überzeugt werden, dass sie Entlastungsangebote annehmen sollten, sagt Susanne Poth. Dazu stehen in Taunusstein 22 qualifizierte Ehrenamtliche bereit, die diese Aufgaben als erfüllend erleben, wird Waltraud Möhrlein nicht müde zu betonen. Sie alle haben eine entsprechende Qualifizierung in über 40 bis 45 Stunden absolviert, engagieren sich zwischen zwei bis vier Stunden in der Woche und bekommen dafür eine kleine Aufwandsentschädigung. Bevor sie in die Familien gehen, werden diese von Susanne Poth besucht, um die Art und Weise der Einzelbetreuung abzuklären. Nur qualifizierte Beratung bringe Erkenntnisse.
Weitere Informationen zu den Angeboten der Demenzbetreuung der Stadt Taunusstein gibt es auf der Website der Stadt Taunusstein unter www.taunusstein.de/demenzarbeit oder direkt bei Waltraud Möhrlein von der Leitstelle Älterwerden, Telefon 06128 241-323, E-Mail: waltraud.moehrlein@taunusstein.de.
Die aktuellen Angebote im Überblick
Immer dienstags von 14.30 bis 18 Uhr gibt es eine Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz, die zuhause leben. Die Gruppe ist auf acht Personen begrenzt und findet in den Räumen des Taunussteiner Seniorenzentrums an der Lessingstraße in Hahn statt. Jeder Gast wird von einem Ehrenamtlichen begleitet, der Beitrag beträgt 20 Euro pro Besuch, die von den Pflegekassen erstattet werden.
Der häusliche Besuchsdienst der Stadt bietet stundenweise Entlastung für Angehörige daheim an. Die qualifizierten Ehrenamtlichen kommen zu abgesprochenen Zeiten ins Haus. In dieser Zeit haben die Angehörigen frei. Vor dem Einsatz der Ehrenamtlichen erfolgt ein Besuch von Susanne Poth, die deren Einsatz koordiniert. Weitere Informationen bei Susanne Poth, Telefon 06124 7263951 oder 0157-34977278, E-Mail: susanne.poth@t-online.de. oder Waltraud Möhrlein, Telefon 06128 241-323
Das „Café Vergissmeinnicht“ ist ein offenes Café für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Es findet einmal im Monat meist in der Silberbachhalle in Wehen statt. Es ist ein gemeinsamer Treffpunkt für Geselligkeit, Unterhaltung und Zuspruch für alle. Die nächsten Treffs finden am 15. September, 13. Oktober, 10. November und 8. Dezember jeweils in der Zeit von 15.30 bis 17.30 Uhr statt. Anmeldung bei Andrea Wcislo, Telefon 0157 – 84119689, Monika Mischke, Telefon 0160-96823499, oder Waltraud Möhrlein, Telefon 06128 241-323.
Die Angehörigengruppe trifft sich ebenfalls einmal im Monat. Hier sollen Wege aufgezeigt werden wie man der schwierigen Aufgabe der Betreuung von an Demenz Erkrankten gerecht werden kann. Hier finden Sorgen und Probleme Angehöriger ein offenes Ohr und jeder wird bei der Lösung der Probleme unterstützt. Zudem wird der Austausch unter den Angehörigen gestärkt. Die nächsten Treffen sind am 10. August, 7. September, 12. Oktober, 9. November und 7. Dezember jeweils von 17 bis 19 Uhr in Raum 010 im Rathaus in Hahn. Anmeldung bei Angelika Wust, Telefon 0171-7321376, E-Mail: info@angelikawust.de.
Der Chor mit an Demenz Erkrankten, der seine Heimat in der Seniorenresidenz am Ehrenmal in Hahn hat, findet wegen der Corona-Pandemie derzeit nicht statt.
Eine große Veranstaltung zum Thema Demenz ist von der Stadt Taunusstein am 18. August um 17 Uhr im Bürgerhaus „Taunus“ in Hahn geplant. Dort gibt es viele Tipps zum Umgang mit der Erkrankung Demenz, Informationen zu Entlastungsmöglichkeiten und Orientierung zur besseren Verständigung mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. An Infotischen werden alle Demenzangebote der Stadt vorgestellt und das Netzwerk Wohnen Rheingau-Taunus zeigt, wie das Wohnumfeld „demenzgerecht“ ausgestattet werden kann.
Eine Schulung für Angehörige findet am 25. August 2022 (Teil 1) und am 1. September 2022 (Teil 2) jeweils von 17 bis 19 Uhr im Rathaus statt. Eine Online-Teilnahme ist möglich. Anmeldungen nimmt Waltraud Möhrlein 06128-241323 oder waltraud.moehrlein@taunusstein.de entgegen.