Teil 1: Algerien

Abschied von der Normalität

Von Gina Egenolf

Als ich im Frühjahr für einen meiner langjährigen Auftraggeber eine Gruppenreise in die algerische Sahara begleiten darf, es ist nicht die Erste, ist die Welt noch in Ordnung.  Die algerische Botschaft lässt sich diesmal jedoch Zeit mit dem Erstellen der Visa. Schließlich bekommen wir alle das begehrte Visum zwei Tage vor Abreise.

Schön ist es wie immer in diesem Teil unserer Erde. Wir sind mit unseren algerischen Begleitern vom Stamm der Tuareg zu Fuß und im Geländewagen im Süden des Landes im Nationalpark Tassili unterwegs. Traumhafte Felslandschaften mit bis zu mehr als 10.000 Jahre alten Felsbildern, Sanddünen und herrliche Sonnenuntergänge begleiten unseren Weg. Am Abend bereitet unser Spitzenkoch ein appetitliches Mahl gekrönt von einem heißen Tee – gekocht auf dem offenen Feuer. Reisen am Rande der Welt natürlich im übertragenen Sinne. Groß ist der Abstand zu Problemen und Fragestellungen von Zuhause. Wüste entspannt und lässt die Sorgen und Nöte schrumpfen, ebenso die Eitelkeiten. Die so genannte Zivilisation ist weit, jedenfalls unsere. 

Felsgravuren in der Sahara

Bei den kunstvoll gemeißelten Felsgravuren von Tinterhert stellen sich Fragen nach den Künstlern: Was haben sie gedacht, wie haben sie gelebt und vor allem wie sah die Landschaft vor 10.000 Jahren aus? Grüner war sie auf alle Fälle, das hat die Wissenschaft herausgefunden. Wir stellen uns ein anderes Leben vor, ohne Mobiltelefon, Fernseher, ohne Hektik und ohne Wissen über die Kriege in anderen Teilen der Welt. Einfach nur da sein, auf der Suche nach Nahrung und Wasser und viel Zeit, zum Beispiel zum Gravieren oder Malen von Bildern. Die gesamte Sahara ist voll davon von Marokko bis in den Sudan kann man diese Fundstätten bewundern, oder besser gesagt, konnte, denn in vielen Ländern ist das Reisen heute nicht ungefährlich, wenn es denn überhaupt geht.

Zu dieser Landschaft passen friedlich dahintrabende Dromedare die wahrscheinlich erst 1000 vor unserer Zeitrechnung in der Region auftauchten und bis heute von den Touareg gezüchtet werden. Empfang für unsere Mobiltelefone haben wir hier im Süden abseits der Ortschaft Djanet nicht. Die Reise könnte friedlich enden mit wunderbaren Eindrücken von einer archaischen Landschaft!

Eine dramatische Wendung

Doch ein paar Tage vor dem vorgesehenen Rückreisetermin werde ich vom Cheffahrer zu einem Telefongespräch mit der Agentur geholt. Ich muss mit ihm auf die nächstgelegene Düne steigen, denn der Empfang unten ist auch für das lokale Netz schlecht. Von der hiesigen Reiseagentur kommt die Nachricht, dass wir sofort nach Algier fliegen müssten. Die Air Algerie würde den Flugverkehr nach Europa übermorgen einstellen – weshalb um Himmels Willen? meine Frage. Die Antwort: „….nun, wegen Corona?“ Wir haben natürlich schon alle von dem neuen Virus gehört, aber diese dramatische Wendung habe ich nicht vermutet. Die Realität hat mich wieder. Verabschiedung von einer Traumwoche auf die Schnelle.

Verblüffung auch bei meinen Reisegästen. Unsere Touareg-Begleiter bleiben gefasst, denn auch sie haben schon von der Bedrohung Corona gehört. In Zeiten von Internet und Multimedia ist man selbst in den abgelegensten Dörfern Afrikas über alles informiert.  Ein letztes Abendessen am Rande der Wüste, am nächsten Tag zum Flughafen von Djanet, auf dem sich alle Agenturen und die Reisenden tummeln. Wir haben Glück und bekommen alle einen Rückflug nach Algier. Das Flugzeug ist nicht ausgebucht, was uns wundert, warten doch am Flughafen zahlreiche Passagiere um in die algerische Hauptstadt zu gelangen. Nach etlichen Stunden dann die Ankunft in Algier und der Transport in unser Hotel einige Kilometer vom Zentrum entfernt.

Es wird irreal

Bei der Ankunft eine Szenerie wie in „Krieg der Sterne“. Wir müssen durch die Sicherheitskontrolle und werden behandelt wie „Gemeingefährliche“ (schließlich sind wir Europäer). Mit riesigen Pistolen (zum Messen von Fieber) werden wir „bedroht“. Eine irreale Situation! Nach anfänglicher Verwirrung über unsere angeblich fehlende Reservierung (die hatte die Agentur für uns erledigt) können wir unsere Zimmer beziehen, modern und komfortabel.

Wir sind aufgehoben in der Infrastruktur des modernen Hotels und der Großstadt Algier, ein multikultureller Hotspot an der nordafrikanischen Küste. Ehemals Zentrale der Piraterie und des Schmuggelwesens und geprägt von der Geschichte aus Jahrhunderten, strahlt Algier heute ein besonderes Flair aus. Hier spricht man arabisch und französisch und vor allem bekommen wir auch zu Essen. Nur der Wein zu unserem Abendessen fehlt, denn dem Hotel fehlt die Lizenz die man hier braucht um Alkohol auszuschenken.

Man rät uns, das Hotel nicht zu verlassen, denn man könne ja nie wissen. Die Zeit sei im Moment von großer Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Regierung geprägt. Die Freitagsdemos, die jede Woche stattfinden, zeigen das.  Also mache ich mich am Abend auf den Weg in das Nachbarhotel welches eine Bar hat und organisiere in einem neutralen Rucksack ein paar Flaschen Bier für die Gruppe.

Organisation des Rückflugs

Bei unserem abendlichen Treffen erläutere ich den Reiseteilnehmern das weitere Vorgehen. Für mich als Verantwortliche des Reiseveranstalters heißt es jetzt, mich um unseren Rückflug nach Deutschland zu kümmern. Telefonate mit meinem Reiseveranstalter und der deutschen Botschaft stehen auf dem Programm. 

Der Botschaftsangehörige fragt mich nach noch in der Sahara vermissten Deutschen, wohl von einem anderen Reiseveranstalter. Wir haben die betreffende Gruppe getroffen, aber das war vor einer Woche. Eine große Hilfe für den Botschaftsmitarbeiter ist das nicht.  Er stellt für uns eine Wartezeit von vier Tagen in Aussicht, denn es wäre noch einiges zu klären. 

Wir vertrödeln unsere Zeit zwischen Restaurant, Zimmer und unseren regelmäßigen Gruppentreffen. Ein Problem ist eine österreichische Gruppenteilnehmerin, denn eigentlich ist für sie die Botschaft ihrer Heimat zuständig. Ich spreche mit der Botschaftsangehörigen von Österreich. Vom deutschen Botschaftsmitarbeiter werde ich gefragt, ob wir die Dame nach Deutschland mitnehmen würden, was ich natürlich bejahe. Dann müsse sie aber selbst sehen, wie sie nachhause käme, denn die Grenzen wären geschlossen. Ein seltsames Gefühl befällt mich, eine Situation wie in einem Film.

Inzwischen ist der Flughafen in Algier geschlossen. Ich erfahre durch meinen Auftraggeber das Datum des wahrscheinlichen Rückfluges. Die Hotelkosten bis vier Tage zahlt der Veranstalter, Tage darüber hinaus der Reisende. Ich informiere die Teilnehmer über die Rechtslage, was ohne zu murren akzeptiert wird. Hauptsache wir kommen nachhause. Nach weiteren Tagen und harren auf endgültige Bestätigung des Fluges dann das OK von der Botschaft.

Abschied von Algerien

An dem Morgen der Abreise verabschieden wir uns von unseren Begleitern und ich überlege, wann ich meine algerischen Freunde wiedersehen werde. Für sie bedeutet der Tourismus ein wenig Unabhängigkeit für die Familien. In der Region sind weitere Einnahmequellen rar. 

Am Flughafen werden wir von algerischem Militär und der deutschen Botschaft in Algier empfangen. Wir bekommen unsere erste „Corona-Maske“. Noch können wir nicht ahnen, dass die Maske in Zukunft unser täglicher Begleiter sein wird. Erst einmal müssen wir noch unterschreiben, dass wir eventuell einen Teil der Flugkosten übernehmen, Bedingung für den Flug. Unheimlich in diesem riesigen neuen Flughafengebäude: nur wir unter etwa 280 weiteren Fluggästen. Es gibt nur diesen einen Flug.  Ängstliche Blicke zur Start- und Landebahn. Ist da auch wirklich ein Flugzeug der Condor? Noch sieht man es nicht, aber wir sind guten Mutes. Die Abfertigung übernimmt das algerische Militär.

Endlich dürfen wir einsteigen. Das Flugzeug ist rappelvoll – und alle müssen Maske tragen. Der Flug verläuft normal, ohne weitere Turbulenzen und so landen wir mit ein wenig Verspätung in Düsseldorf. Im ersten Moment erscheint alles wie immer. Aber nur wenige Menschen sind unterwegs. Dann die Überraschung in unserem Zug in Richtung Frankfurt und München: er ist fast leer. Gespenstisch ist die Fahrt mit den Gedanken an die neue Krankheit im Hinterkopf. Ich freue mich, dass ich in Frankfurt aussteigen darf. Ich wünsche den verbliebenen Mitreisenden alles Gute und verabschiede mich von dieser denkwürdigen Reise. Ich besteige meine S-Bahn nach Bad Homburg wo ich abgeholt werde. Ich erfahre, dass alle Bekannten gesund sind. Endlich zuhause!

In der Nacht fällt mit tosendem Krachen unser Kronleuchter von der Decke! Ich  frage mich, ob das etwas zu bedeuten hat. Wenn das so weitergeht …….! Was ich noch nicht wissen kann: es geht so weiter!

Fortsetzung folgt!