Ungeteilte Menschenrechte und weltweite Menschlichkeit

60 Jahre Amnesty International - 50 Jahre AI Oberursel/Steinbach

9. August 2022

Oberursel/Steinbach (ut). Am 28. Mai 1961 veröffentlichte der britische Anwalt Peter Benenson in der Zeitung „The Observer“ den Artikel „The Forgotten Prisoners“, der mit den Worten beginnt: „Schlagen Sie Ihre Zeitung an irgendeinem beliebigen Tag auf, und Sie werden eine Meldung aus irgendeinem Teil der Welt lesen: Ein Mensch ist eingekerkert, gefoltert, hingerichtet worden, weil seine Ansichten oder religiösen Überzeugungen nicht mit denen der Regierung übereinstimmen.“ Benenson ermunterte die Leser:innen, mit Appellschreiben öffentlichen Druck auf die Regierungen auszuüben und von ihnen die Freilassung politischer Gefangener zu fordern. Dieser „Appeal for Amnesty“ ist der Beginn der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Zehn Jahre nachdem die Mutterorganisation gegründet wurde, riefen Heide André und ihre Mitstreiterinnen die Gruppe Steinbach ins Leben. Später schloss sie sich mit der noch etwas jüngeren Gruppe Oberursel zusammen. Bis heute arbeiten alte und neue Mitglieder beharrlich dagegen, dass politisch Gefangene vergessen werden und erzeugen mit ihren Appellen, Briefen und Aktionen öffentlichen Druck auf Verantwortliche, Minister, Präsidenten, Botschafter, Autokraten, Despoten und Diktatoren auf der ganzen Welt.

Damals wie heute gibt es viel zu tun: Derzeit setzt sich die Gruppe Oberursel/Steinbach für zwei Personen ein, die im Gefangenenlager auf dem US- Militärstützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba inhaftiert sind: Ammar al-Baluchi und Toffiq al-Bihani. Beide erlitten nachgewiesenermaßen Folter. Im Falle von al-Bihani liegt bis heute nicht einmal eine Anklage vor, gleichwohl wird er seit fast 20 Jahren gefangen gehalten. Deshalb fordert die Gruppe seine dringende Freilassung. Al-Baluchi ist wegen Beihilfe zu den 9/11-Anschlägen angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe, wogegen sich Amnesty strikt ausspricht. Zudem soll sein Fall vor einer sogenannten Militärkommission verhandelt werden, was aus Sicht von Amnesty International nicht dem rechtstaatlichen Gebot des fairen Verfahrens entspricht.

AMNESTY INTERNATIONAL ist eine von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen unabhängige Menschenrechtsorganisation. Amnesty kämpft seit 1961 mit Aktionen, Appellbriefen und Dokumentationen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt. Die Organisation hat weltweit etwa 10 Millionen Unterstützer. 1977 erhielt Amnesty den Friedensnobelpreis.

Die Pandemie zwang die Gruppe zuletzt dazu, ihre Aktivitäten überwiegend auf das Schriftliche zu beschränken. Im Gegensatz zu früheren Jahren waren keine Gottesdienste, Filmvorstellungen, Ausstellungen, Mahnwachen oder Infostände möglich. Für ihre Gruppentreffen griff sie zeitweise auf digitale Möglichkeiten zu und traf sich monatlich per Videochat. Aktuell kommt sie zu ihren Treffen wieder in der Stadthalle Oberursel zusammen. Ihre Appellbriefe, Aktionsaufrufe und Petitionen stellt sie auf ihrer Internetseite zur Verfügung.

In der Vergangenheit gab es für die internationale Bewegung zahlreiche Erfolge. Die Kampagnen-, Lobby-, und Aktionsarbeit von Amnesty International hat auf internationaler Bühne einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass es u.a. seit 1987 eine internationale Anti- Folter-Konvention, seit 2002 einen Internationalen Strafgerichtshof, seit 2006 einen UNO- Menschenrechtsrat und seit 2014 einen Waffenkontrollvertrag gibt.

Auch die Gruppe Oberursel/Steinbach ist stolz auf die Erfolge, zu denen sie beitragen konnte. Der Gruppensprecher, Rusen Cikar, ist überzeugt: „Wer glaubt, Briefe schreiben und Plakate in die Luft halten bringe doch nichts für die Betroffenen irrt sich gewaltig. Der große zivilisatorische Fortschritt, der gerade mit dem Erstarken des internationalen Menschenrechtsschutzes nach Ende des Zweiten Weltkrieges erreicht wurde, ist, dass nicht einmal der grausamste Diktator offen Menschenrechtsverletzungen zugestehen kann. Dieser international herstellbare öffentliche Druck ist nicht zu unterschätzen. Wurde er einmal wirksam erzeugt, wurden Gefangene auf Aktionen von Amnesty International hin auch schon freigelassen, falls nicht, wurde ihnen mindestens der Zugang zu angemessener medizinscher Versorgung, zu ihren Anwälten oder der Kontakt zu ihrer Familie gewährt.“

Die Zukunft bleibt spannend: Auf der vorletzten Jahresversammlung des deutschen Hauptvereins (sog. Sektion) stieß die Gruppe Oberusel/Steinbach gemeinsam mit zwei weiteren Gruppen an, verstärkt den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Menschenrechtsverletzungen in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Ihr Antrag wurde mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. Die Gruppe hofft, dass die Aktionen von Amnesty hier endlich dazu beitragen, dass Regierungen weltweit substanzielle Maßnahmen im Sinne des Klimaschutzes ergreifen.

Jubiläumsfeier

Am Sonntag, den 14. August, feiert die Oberurseler Amnesty Gruppe ihr 50-Jähriges Jubiläum, genau genommen holt sie ihren Geburtstag wegen der Pandemie nach. Gefeiert wird im Rushmoorpark am Rande des 3. Oberurseler Begegnungsfestes “Vielfalt mit Musik” in Zusammenarbeit und mit Unterstützung des Vereins Kunstgriff, des Kultur- und Sportfördervereins Oberursel (KSfO) und des Internationalen Vereins „Windrose“.

Weitere Informationen zur Veranstaltung und zur Musik lassen sich auf der Internetseite des Vereins Kunstgriff finden. Begleitet wird die Feier von einer Freiluft-Ausstellung zur Geschichte von Amnesty.

Auf der Feier möchte die Gruppe auf das fünfzigjährige Bestehen der Oberurseler Gruppe von Amnesty International sowie auf das sechzigjährige Bestehen der Gesamtorganisation zurückblicken und die Schritte ihrer Arbeit vor Ort lebendig werden lassen. Es soll darüber gesprochen werden, was die Arbeit der Gruppe prägte und in Zukunft weiterhin prägen wird: die Arbeit im Bereich Asyl und Migration und der Einsatz gegen die politische Verfolgung Einzelner.