Katrin Eigendorf über „Putins Krieg“

Von Petra Pfeifer, 8. März 2023

Oberursel. Seit über einem Jahr leiden tausende Menschen in der Ukraine auf fürchterlichste Weise unter dem Angriffskrieg Russlands – Tote, Vergewaltigte, entführte Kinder sind an der Tagesordnung. Der Journalistin Katrin Eigendorf obliegt seither maßgeblich die Berichterstattung aus dem Krisengebiet, tatsächlich reiste sie zufällig am 24. Februar 2022 in die Ukraine und erfuhr noch als sie unterwegs war, dass Russland gerade das Land überfallen hatte. „Um 5 Uhr morgens deutscher Zeit rief ich meinen Mann an und besprach die Situation mit ihm. Schnell stimmten wir überein, dass ich dortbleiben muss, um zu berichten“, erinnert sich Katrin Eigendorf als sie auf Einladung der VHS Hochtaunus zu Gespräch und Lesung ins Kulturcafé Windrose kommt. Ihr Gesprächspartner ist Sven Weidlich, Leiter des Newsdesk bei der Frankfurter Neuen Presse und bei der Taunus Zeitung für den überregionalen Teil verantwortlich.

Doch zurück auf Anfang. Carsten Koehnen, Geschäftsführer der VHS Hochtaunus: „Wir sind froh und ein bisschen stolz, Katrin Eigendorf hier begrüßen können.“ Mehrfach ausgezeichnet worden sei sie für ihre ruhige und sachliche Darstellung der Geschehnisse in Krisengebieten: „Davor haben wir großen Respekt und ziehen den Hut.“

Nach einer kurzen Begrüßung durch Sven Weidlich, verrät Katrin Eigendorf, dass sie erst kurz zuvor nach sechs Wochen in der Ukraine wieder nach Hause gekommen sei: „So ein langer Einsatz ist eigentlich nicht üblich, doch ich wollte beim Jahrestag des Kriegsbeginns dort sein, wir haben aus diesem Anlass vier heute-Journale live gesendet.“

Auf Nachfrage von Sven Weidlich geht sie dann auf den Sicherheitsaspekt ein. „Ohne Frage gehört der Bericht aus der Ukraine zu den gefährlichsten, denn es gibt so viele Formen der Angriffe“, so Katrin Eigendorf. Da werde im Vorhinein erst einmal eruiert, was wo überhaupt umgesetzt werden könne, außerdem seien fast immer zwei Sicherheitsberater dabei, die die Lage sondierten. „Das kalkulierbare Risiko gehört zum Job“, sagt die 60-Jährige und fügt kurz darauf mit Blick auf ihren beruflichen Lebenslauf hinzu: „Ich wusste schon als Jugendliche, dass ich Journalistin werden möchte und habe diese Entscheidung auch nie bereut, es ist immer noch mein Traumberuf.“ Eines habe für sie jedoch immer festgestanden: „Über die deutsche Innenpolitik wollte ich nie berichten.“

Katrin Eigendorf, die unter anderem in Paris studierte, ist ein bekennender Frankreich-Fan – „ich mag die Leichtigkeit dort“ –, daher war es eine berufliche Entscheidung, dass sie 1993 mit ihrem Mann Jörg nach Moskau gegangen ist. „Wir haben den Wandel mit Gorbatschow als ungeheuer spannend empfunden“, sagt sie rückblickend. Das mitzuerleben habe sie unglaublich gereizt, denn sie habe in dieser Zeit Wege gehen können, die noch keiner zuvor beschritten habe. Sehr nachdenklich und traurig: „Es war die einzige Zeit, in der es dort Freiheit gab.“ Doch sie sei für die Russen zu kurz gewesen, um ihre Geschichte, den Stalinismus aufzuarbeiten.

„Wann haben Sie zum ersten Mal Putin wahrgenommen?“, möchte Sven Weidlich erfahren. Er sei damals ein Niemand auf der russischen Landkarte gewesen, bekommt er zur Antwort. Boris Jelzin habe ihn nach seinem Rücktritt als Ministerpräsidenten eingesetzt. Katrin Eigendorf: „Putins Rolle war immer, dieses Land für die alten Kräfte zurückzuerobern, mit ihm wurde eine Figur installiert, die sich ihre Stellung gekapert hat.“ Seine Rede im Jahr 2001 vor dem Bundestag mag bei manchem zunächst eine Hoffnung ausgelöst haben, dass er Russland in Gorbatschows Sinne regieren werde: „Doch er ist ein Meister der Täuschung. Im gleichen Jahr hat er in Tschetschenien mit einer vollkommen außer Kontrolle geratenen Armee einen der brutalsten Kriege geleitet.“ Diese Kontinuität sei damals schon klar gewesen.

Mit dem Vorlesen einer bedrückenden Episode aus ihrem Buch „Putins Krieg – Wie die Menschen in der Ukraine für unsere Freiheit kämpfen“ wieder zurück zur Gegenwart: „Die Zahl der Opfer ist unglaublich groß.“ Und die unendlich deprimierende Feststellung: „Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende.“ Das mache die Menschen wütend und traurig, doch ihr Widerstandsgeist sei ungebrochen: „Aber heldenhaft ist das eigentlich nicht. Sie wissen halt, was passieren würde, wenn Russland siegt: Terrorregime, Vergewaltigung, Entführung von Kindern.“

Sven Weidlich: „Wird in der Ukraine über Deutschland diskutiert?“ Ja, lautet die Antwort. Die Zeitenwende werde ganz klar wahrgenommen, doch Deutschland sei ein Land gewesen, das Russland unterstützt hat und man frage sich jetzt, warum jede Waffenlieferung diskutiert werde: „Es ist ein schlechtes Bild, das wir abgeben. Andererseits sind wir das Land, das die Ukraine am stärksten unterstützt.“ Die Ukrainer seien überaus dankbar, dass hier so viele Flüchtlinge aufgenommen worden seien.

Selbstverständlich kommt die Rede auch auf Selenskyj: „Seine Rolle ist sehr wichtig, ohne ihn wäre alles auf jeden Fall ganz anders verlaufen.“ Dass er im Land geblieben ist als der Krieg begann, hätten weder Putin noch viele andere Menschen erwartet. Dass er jedoch blieb, „hat unglaublichen Mut gemacht“. Außerdem habe er es darüber hinaus geschafft, die westlichen Nationen zu einigen und „schon zu einer politischen Kultfigur geworden ist, mit der sich jeder gerne ablichten lässt“.

In der zweiten Lesung geht es um die „einschneidendste Berichterstattung“. Die Erinnerung führt nach Butscha – kurz nachdem die russischen Söldner dort gewütet hatten. Katrin Eigendorf erzählt eine Episode aus der Geschichte einer jungen Frau, „die beispielhaft für den Krieg ist“. Es ist eine bedrückende Erzählung, eine Geschichte, zu der „man nicht Distanz wahren kann“. Katrin Eigendorf: „Hätte ich mich nicht darauf eingelassen, hätte ich sie nicht erfahren.“ Doch hierfür war auch ihre bereits mehrfach ausgezeichnete Empathie notwendig. Als sie merkte, dass die junge Frau über bestimmte Dinge gar nicht reden kann, habe sie sich zurückgenommen.

Katrin Eigendorf ist seit den 1990er Jahren Auslandskorrespondentin, seit 2018 internationale Reporterin beim ZDF und berichtet aus Kriegs- und Krisengebieten. 2021 erhielt sie den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für herausragende journalistische Leistungen in Brennpunkten aktuellen Geschehens. Für „besondere journalistische Leistung“ wurde sie mit dem Grimme-Preis 2022 ausgezeichnet. Darüber hinaus erhielt sie den Sonderpreis der Jury des Robert-Geisendörfer-Preises 2022 und in der Kategorie „Beste persönliche Leistung Information“ den Deutschen Fernsehpreis 2022.

Putins Krieg – Wie die Menschen in der Ukraine für unsere Freiheit kämpfen

Seit vielen Jahren berichtet Katrin Eigendorf regelmäßig aus der Ukraine. So auch während der dramatischen Tage und Wochen nach dem 24. Februar 2022, als Wladimir Putin mit seinem grausamen Angriff auf die Ukraine den Krieg zurück nach Europa getragen hat. Angesichts der Bilder aus Mariupol, Charkiw und Kyiw ist auch Deutschland aufgewacht, nachdem es über viele Jahre Wladimir Putin verharmlost hat.

Katrin Eigendorf erzählt hier vom Krieg, den Putin mit aller Härte führt, vor allem gegen die Bevölkerung. Von ihren Begegnungen mit Menschen, die von einem Tag auf den anderen alles verloren haben, von Familien, die zerrissen wurden, von Kindern, die ihre Kindheit verloren haben. Es sind Begegnungen, die immer wieder an die Schmerzgrenze gehen, auch für eine Reporterin.

Sie hat den Beginn dieser Entwicklung bereits 2008 in Georgien erlebt, als der Kreml seine Truppen nach Tbilissi schickte. Und 2014 in Donezk, Luhansk und Mariupol, als die russische Armee nach der Krim auch den Osten der Ukraine angriff und besetzte. Kriege, die auch in Deutschland nicht ernst genug genommen wurden.

Putins Narrativ vom Krieg gegen eine faschistische Regierung in Kyiw, vom Eintreten für Russlands Sicherheit ist eine zynische Lüge. Sein Krieg zeigt überdies die ganze Schwäche eines autoritären Regimes. Ein System, das Kinder bombardiert und Menschen aushungert, das die Wahrheit nicht duldet, ist gescheitert. Noch nie war es Katrin Eigendorf wichtiger, vor Ort zu sein und zu zeigen, worum es in der Ukraine wirklich geht: um den Kampf eines Volkes für Freiheit und Demokratie – auch in Europa.

Verlag: S. FISCHER
Erscheinungstermin: 31.08.2022
256 Seiten
ISBN: 978-3-10-397195-8