Es gibt viele Gründe für Zootierhaltung – Der dringendste ist der Mensch

Zoo-Pädagoge Dr. Martin Becker. - Foto: Privat

Von Petra Pfeifer, 19. Mai 2023

Kronberg. Am 22. Mai ist der „Internationale Tag der Biodiversität“, obendrein findet vom 19. bis 29. Mai erneut die jährliche Biodiversitätswoche von BioFrankfurt statt. Der Opel-Zoo beteiligt sich mit einer Führung am 20. Mai zum Thema Artenschutzmaßnahmen. Unter anderem wird es vor dem Hintergrund häufig geäußerter Kritik an Tierhaltung in zoologischen Einrichtungen um Fragen gehen wie: Warum werden Giraffe, Panda, Elefant und Co. in Zuchtprogrammen erfasst und was das mit Artenschutz zu tun hat oder welche Rolle zoologische Gärten im internationalen Artenschutz spielen.

Nachwuchs beim Mesopotamischen Damhirsch. – Foto: Archiv Opel-Zoo

Gerne gibt Zoo-Pädagoge Dr. Martin Becker im Vorfeld Einblicke in die vielfältige Arbeit, die dahintersteckt, und Antworten darauf, warum Zootierhaltung immer unerlässlicher wird. Hierbei wirft er auch einen Blick zurück auf die Zeit der Gründung der Kronberger Institution durch Georg von Opel. Vor allem auf die Mesopotamischen Damhirsche, die gerade wieder Nachwuchs haben: „Mit ihnen fing eigentlich alles an.“ Denn wie keine andere Tierart stünden sie für die Artenschutzbemühungen des Opel-Zoos – so galt die seltene Hirschart schon als ausgestorben, als es dem Zoogründer in den 1950er Jahren gelang, noch einige Tiere aufzuspüren und anschließend mit nur einem Paar in Kronberg eine erfolgreiche Zucht aufzubauen.

Doch zurück zum Status quo: „Unsere Aufgaben gliedern sich in vier Bereiche: Erholung für die Menschen, Forschung, Bildung – ein sehr wichtiges Anliegen – sowie Artenschutz.“ Ergo: Die Erfahrung habe gezeigt, der Mensch schützt, was er kennt, und daher müssten vom Aussterben bedrohte Tiere auch gezeigt werden. Immer wieder höre er im Verlauf seiner Führungen: „Oh, ich habe ein neues Lieblingstier.“ Das seien Momente, in denen er sich insgeheim unglaublich freue. Denn dann sei wieder jemand für eine Tierart sensibilisiert worden.

In ihrer Heimat Madagaskar im höchsten Grad gefährdet: Rote Varis.

Ein Beispiel seien die Lemuren, die sogar zwei Mal täglich in ihrem Gehege bei einer Führung „persönlich“ besucht werden können: „Die Menschen schmelzen bei einer solchen Begegnung dahin.“ Doch in Madagaskar, ihrer eigentlichen Heimat, sind sie im höchsten Grad gefährdet: „Die Wälder, in denen sie leben, sind mittlerweile zu 90 Prozent abgeholzt.“ Und das nicht von der dort lebenden Bevölkerung, sondern von großen Konzernen. Kattas und ihre Verwandten, die Roten Vari, die sich hier vor Ort – überaus harmonisch übrigens – ein gemeinsames Gehege teilen, haben „daheim“ praktisch keinen Lebensraum mehr.

Arche-Funktion

Ähnlich geht es den Netzgiraffen oder Elefanten. Sie werden in ihrer angestammten Heimat ohne Rücksicht bejagt. Ob aus Hunger – hier sei jedoch zu unterscheiden zwischen der traditionellen Jagd durch die indigene Bevölkerung und der von professionellen Jägern, die ihr Geld mit genannter „Bushmeat“ machen – oder wegen des Handels mit Elfenbein sei dahingestellt. Sie haben ohne die Hilfe zoologischer Gärten in aller Welt keine Chance zum Überleben. „Insgesamt gibt es Millionen Arten, die vom Aussterben bedroht sind, doch wir können nicht alle retten“, so Dr. Martin Becker. Dennoch: Zoologische Einrichtungen hätten hierbei schon viel erreicht und seien weiter dabei: „Die Tiere, die wir halten, sind quasi die Reserve.“

Eine Institution wie der Opel-Zoo gehöre hinsichtlich der Haltung jeweiliger Tierarten zu den Führenden: „Es gibt für jede Tierart allgemein verbindliche Richtlinien je nach Lebensgewohnheiten und Bewegungsbedürfnissen, die wir einhalten.“ Beteiligt sei sie auch bei Auswilderungsprojekten, die allerdings von den Behörden gesteuert würden: „Insgesamt sind daran Züchter, Untere und Obere Naturschutzbehörde sowie Land- und Forstwirtschaft beteiligt.“ Ein, auch einheimisches, Tier einfach „auszusetzen“, bedeute nicht allein die absolute und unverzeihliche Herabsetzung seiner Überlebenschance, sondern kann im jeweiligen Gebiet bei jedweder „unüblichen“ Art auch eine unerlaubte „Faunenveränderung“ sein. Daher: Ob so oder so – es ist schlicht verboten.

Der Opel-Zoo selbst hat sich aufgrund seiner großzügigen Anlage, die allerdings keine Möglichkeit zur Expansion hat, überwiegend auf Großsäuger aus Afrika, Asien und Europa ausgerichtet, die viel Platz benötigen. Um aber den Besuchern möglichst viele Einblicke zu bieten, gebe es auch Erdmännchen & Co. Allerdings: „Im Grunde verdienen Giraffen und Elefanten das Geld für Feldhamster oder Ziesel, denn die sind nachtaktiv und daher kaum von den Besuchern zu erleben“, sagt Martin Becker augenzwinkernd.

Zuchtbücher werden akribisch geführt

Eine besonders große Rolle bei der Züchtung bedrohter Tierarten spielen übrigens jeweilige Zuchtbücher. Der Opel-Zoo führt die europäischen Zuchtbücher über die Netzgiraffen und Mesopotamischen Damhirsche – das Zoologische Vermächtnis seines Gründers: „Darin sind unter anderem die DNAs der Tiere dokumentiert, so dass Inzucht vermieden werden kann.“

Die Kronberger Institution ist darüber hinaus in 38 Zuchtprogrammen involviert, europaweit gebe es rund 400 solcher Programme. Für Hessen speziell betreffen das die europäischen Sumpfschildkröten und Feldhamster. „Die Sumpfschildkröte hatte als erstes das Problem, dass sie als Fastenspeise betrachtet wurde – allerdings war das nicht so groß wie der Rückgang von stehenden oder langsam fließenden Gewässern, was aufgrund von Renaturierungsmaßnahmen jedoch wieder rückläufig ist.“ Belastend sei für sie heute jedoch das Auftauchen von zum Beispiel nicht hierher gehörigen Rotwangenschildkröten durch Aussetzen – eben die zuvor erwähnte „unerlaubte Faunenveränderung“.

Der Feldhamster wiederum konnte nicht Schritt halten mit den modernen Erntemaschinen, die auch das letzte Korn einsammeln – und unter anderem mit der Entwicklung von Sommer- bzw. Winterweizen zu immer früheren Erntezeiten: „Da ist er noch gar nicht aufs Sammeln für die Winterzeit eingestellt.“

In all diesen Themenbereichen ist Dr. Martin Becker von toleranter Aufgeschlossenheit. Ärgerlich wird er lediglich bei dem Kritikpunkt, dass Tiere, die in zoologischen Einrichtungen gehalten werden, die die wissenschaftlich erkundeten und somit verordneten Richtlinien einhalten, in ihrer eigentlichen Heimat und in Freiheit besser aufgehoben wären: „So etwas sagen Menschen, die sich noch nie mit Arterhaltung beschäftigt oder sich für sie eingesetzt haben.“

Die Führung mit Dr. Martin Becker findet am Samstag, 20. Mai, um 15 Uhr statt. Treffpunkt ist an der Statue des Zoogründers hinter dem Haupteingang im Zoo. Die Führung ist kostenfrei, ohne Zuschlag zum Eintrittspreis. Eine Voranmeldung ist nicht erforderlich.