Königsteiner Forum

„Homo Digitalis und die Pandemie“

Professor Ottfried Jarren vom Forum Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der Universität Zürich (links) und Professor Volker Mosbrugger, Vorsitzender des Königsteiner Forums.

Von Eckard Steffin, 19. Januar 2022

Königstein (ut). Professor Dr. Ottfried Jarren vom Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung war eingeladen, die Pandemie aus der Sicht eines Kommunikationsforschers zu beleuchten. Aufgrund der Vorgaben seines Arbeitgebers, der Universität Zürich, konnte die Veranstaltung nur Online stattfinden.

Zwei neue globale Phänomene sind in den letzten Jahren verstärkt aufgetreten. Die Pandemie und dass die Menschen ihre Informationen nicht wie früher aus den Zeitungen, dem Fernsehen oder dem Radio beziehen, sondern Google, Facebook oder Influenzer den Vorrang haben. Dieser Umstand strapaziere die Gesellschaft und ihre demokratischen Institutionen. Normen, Regeln und Prozesse würden außer Kraft gesetzt.

Globale Herausforderungen sind nur eingeschränkt beherrschbar

Damit entstünden bisher unbekannte Risiken oder Gefahren. Der Datenschutz stehe in unserer Gesellschaft über alles und verhindere Untersuchungen, selbst dann, wenn sie anonym stattfinden sollen. Dadurch werde deren Bekämpfung stark behindert. Gleichzeitig seien die alten Vorgehensweisen in Krisensituationen nutzlos. Covid könne nicht durch politische Vorgaben oder Kriege bewältigt werden. Auch weitere globale Phänomene wie Artensterben oder der Klimawandel könnten nicht durch alte Mittel bekämpft werden. Dadurch seien die globalen Herausforderungen nur eingeschränkt beherrschbar. Es sei nicht umsetzbar, natürliche Ereignisse durch wirtschaftliche, politische oder technische in den Griff zu kriegen.

Corona sorge nicht für eigene Erfahrungen. Es sei global, dynamisch und niemand sehe die Schäden, wie beispielsweise bei einem Flugzeugabsturz. Es seien nur Grafiken zu sehen und dem Vernehmen nach gebe es unterschiedliche Maßnahmen, die scheinbar nicht zusammen passten. So gebe es beispielsweise in der Schweiz keine Maskenpflicht.

Bekämpfung unter Wettbewerbsbedingungen

Zusätzlich gebe es eine hohe Verkettung von Ereignissen und Deutschland stehe mit anderen Ländern in Konkurrenz. Es beginne ein Kampf, wer ist besser aufgestellt sei und gewinne – global, ökonomisch und auch in Blick auf die Bewältigung der Hospitalisierung. Die Bekämpfung finde unter Wettbewerbsbedingungen statt und alles ohne Filter.

In den traditionellen Medien würden Meinungen von Fakten getrennt. Fachleute kontrollierten sich gegenseitig. Zeitungen oder Rundfunkanstalten hätten eine politische Richtung, die bekannt sei. Sie würden ihre Veröffentlichungen aus dem Kontext die Gesamtgesellschaft beziehen. Die Medien seien das soziale Haus, in dem die Menschen sich bewegten.

Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Nölle-Neumann, habe bereits in den 70er Jahren über die Schweigespirale sinniert. Es gehe darum, dass die Bereitschaft der eigenen Meinungsäußerung davon abhänge, wie das Meinungsklima der Umgebung des jeweiligen Menschen eingeschätzt wird. In der Folge würde sich jeder Einzelne nur mit Personen umgeben, die Einstellungen und Meinungen miteinander teilten. Es werde immer schwerer, auch andere Meinungen zuzulassen.

Unverbindliche Äußerungen auf Plattformen ohne Datenschutz

Heute könnten Meinungen von jedem auf Plattformen gepostet werden, die kein Geld nehmen und bei denen eine An- und Abmeldung unverbindlich sei. Noch nie habe sich ein solches Phänomen so schnell durchgesetzt. Einführungszeiten von Radio, Fernsehen oder Zeitungen seien sehr viel länger gewesen. In diesen Plattformen spiele auch der Datenschutz keine Rolle mehr: „Wir geben ihn selbst auf. Es wird zum Sport: Wer kann mehr Follower nachweisen! Plattformen kennen die Zahlen und daher sind die Werbenden mehr und mehr hier zu finden.“ Dabei handele sich um Einnahmen, die den traditionellen Medien verloren gingen. Geld werde mit dem Wissen über die Nutzer verdient und die traditionellen Medien gingen leer aus: „Plattformen bieten aber keine journalistischen Leistungen an, sondern nur Netzwerkeffekte (Klicks). Durch dieses System gibt es ein Überangebot an Meinungen. Niemand kann mehr alles beobachten.“ Daher informierten sich Menschen immer mehr in kleineren Gruppen, die die eigene Meinung bestätigen würden. Der Meinungsaustausch werde immer kleiner, obwohl die Möglichkeiten vielfältiger werden.

Außerdem würden Informationen nicht bzw. in viel zu geringem Maße auf den Wahrheitsgehalt geprüft: „Es werden außerhalb der eigenen Blase keine anderen Quellen mehr herangezogen und ethische Standards sinken. Am Ende wird nichts mehr kontrolliert.“ Falschmeldungen seien für viele Menschen zu Tatsachen und einzigen Informationsquellen. Selbst Behörden und Politiker griffen immer weniger auf die seriösen Journalisten zurück und posteten selbst auf Plattformen. Die Nadelöhre der Prüfungen fielen weg und die Qualität werde immer fraglicher: „Trump hat mit unwahren Behauptungen vorgemacht wie das funktioniert und zusätzlich die Medien diffamiert, die nicht seine Meinung als die Wahrheit darstellten, sondern nachprüften.“

In der Politik kämen Kompetenzschwierigkeiten hinzu. Wer ist zuständig? Wo ist das Wissen verfügbar und wie kann ich es prüfen? Die alten sozialen Kontrollen funktionierten auch hier nicht mehr.

Professor Dr. Ottfried Jarren: „Auch unsere Risiken steigen mit der Digitalisierung. Was machen wir bei einem Blackout? Wer kennt noch die Alarmtöne? Covid ist zum Treiber der Digitalisierung geworden. Für die meisten Menschen sind Journalisten zwar noch immer die wichtigste Informationsquelle, die bei den Jüngeren aber an Bedeutung verliert.“ Wer sich für den Vortrag interessiert, findet ihn hier: https://www.eventcore.gmbh/koenigsteiner-forum.