„EU-Agrarpolitik auf Tuchfühlung in der Region“

EU-Abgeordneter Sven Simon im Gespräch mit Landwirten aus dem Hochtaunuskreis

Oliver Lüdecke, Christian Allendörfer, Stefan Wagner, Erster Kreisbeigeordneter Thorsten Schorr, Prof. Dr. Sven Simon, Martin Trapp und Steffen Hildmann (vlnr) im Gespräch. - Foto: HTK-Pressestelle

21. Juni 2022

Hochtaunuskreis (ut). Die Agrarpolitik Europas steuert weiter in Richtung Extensivierung, mit dem Krieg in der Ukraine steht jedoch die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln für Teile der Welt auf dem Spiel. Dazwischen bewegen sich hiesige Landwirt:innen, die beidem gerecht werden müssen – und wollen. Auch bei der Vorgabe ausreichend Lebensmittel bei nachhaltiger, ressourcenschonender Bewirtschaftung der Flächen zu produzieren, stehen die Landwirt:innen vor großen Herausforderungen. Denn Biodiversität, Lebensmittelproduktion und Grundwasserschutz gehen oft nicht miteinander überein.

Seit 2019 ist Professor Dr. Sven Simon Dozent an der Philipps-Universität Marburg, Abgeordneter im EU-Parlament und interessiert an den Herausforderungen seiner Landsleute in Bezug auf die europäische Politik. Das Amt für den ländlichen Raum des Hochtaunuskreises lud deshalb zum gemeinsamen Gespräch.

In Bezug auf Hühnermobil, Mutterkuh- und Schweinehaltung, Direktvermarktung und Ackerbau kann der Familienbetrieb Hildmann in Kronberg/Oberhöchstadt, ein breites Bild der regionalen Landwirtschaft zeigen. Zusammen mit dem Ersten Kreisbeigeordneten Thorsten Schorr und Dr. Klaus Erdle, Leiter des Amts für den ländlichen Raum, beschrieben zehn Praktiker ihre täglichen Herausforderungen im Zwiegespräch mit Sven Simon.

Haltung von Tieren steht in der Kritik

Mit ganz oben auf der Diskussionsliste stand der Umgang mit Wiesen und Weiden, dem sogenannten regionalen Grünland. Wo einerseits für die Verbesserung von Biodiversität und Klimawirkung der Erhalt und die Extensivierung des Grünlandes ein probates Mittel darstellt, ist es für viele Betriebsleiter:innen eher eine Zwickmühle: Um Wiesen und Weiden zu erhalten braucht es Tiere, die diese als Futtergrundlage nutzen. Auf der anderen Seite steht in Deutschland die Haltung von Tieren, trotz hoher Standards und großer Nachfrage nach Milch und Fleisch, in der Kritik.

Viele landwirtschaftliche Betriebe stellen daher die Tierhaltung ein. Aber wie sollen Wiesen und Weiden beim Wegfall der Tierhaltung noch gepflegt werden? Ähnlich verhält es sich bei dem stärker werdenden Druck dahingehend, das Grünland nicht mehr zu düngen und den Aufwuchs nur noch sehr spät zu mähen. Nämlich dann, wenn Gräser und Kräuter bereits verholzen und wie Stroh auf der Fläche stehen. Als Futter ist dieses kaum mehr brauchbar – sowohl hinsichtlich seines Nährstoffgehaltes als auch durch die Förderung giftiger Arten durch die genannten Einschränkungen. In beiden Fällen werden Gras und Kräuter von Wiesen und Weiden teuer entsorgt und enden als Müll anstatt als Futter.

Zusammenhänge verstehen

Diese Zusammenhänge zu verstehen, war ein Ziel des gemeinsamen Gesprächs mit Professor Dr. Sven Simon. Darüber hinaus ging es auch um die, im Zuge der neuen Gemeinsamen EU-Agrarpolitik geplanten, vier Prozent stillgelegten Ackerflächen. Mit steigender, vor allem regionaler Nachfrage nach Lebensmitteln seitens der Verbraucher und dem Wegbrechen ukrainischer und russischer Ernten, brauche es eine nachhaltige und ausreichende Produktion auf hiesigen Flächen, um den Bedarf zu decken. Wie passt dies in die Idee der EU, einen maßgeblichen Teil wertvoller Ackerflächen sich selbst zu überlassen und nicht mehr zu nutzen? Sven Simon kennt den Zielkonflikt zwischen Lebensmittelproduktion und Naturschutz und weiß das Thema im Agrarausschuss des EU-Parlaments bereits in Bearbeitung.

Beim Gang über die Baustelle eines kombinierten Mutterkuh- und Mastschweinestalles des Betriebs Hildmann wurden auch die Beschränkungen durch die Düngeverordnung wegen hoher Nitratgehalte im Grundwasser besprochen. Hier vermissen die Praktiker die Vergleichbarkeit mit anderen Mitgliedsstaaten der EU. Jeder von diesen nutze andere Methoden zur Erfassung der Nitratgehalte im Grundwasser und die Zahl und Aufteilung der Brunnen auf der Landesfläche ist unterschiedlich. Eine klare Vorgabe dazu, wie und wo gemessen werden soll, sei von Seiten der EU nicht gegeben.

Widerstreit zwischen starren Vorgaben und nicht vorhandenen Rahmen

Der Europa-Abgeordnete wies hierbei auf einen immer wieder aufkommenden Zielkonflikt in Brüssel hin: Einerseits bemängeln die Mitgliedssaaten zu starre Vorgaben, sind andererseits keine Rahmen gesetzt, werden diese vermisst. So auch bei der Methodik der Nitratmessstellen. Die Auswahl derer lag zum Stichtag bei den Mitgliedsstaaten. Deutschland meldete die selbst ausgesuchten Daten – Landwirt:innen tragen nun die Konsequenzen: im Vergleich zu anderen EU-Ländern geringere Düngemengen und folglich sinkende Erträge und schlechtere Qualitäten. 

Im offenen Gespräch mit Professor Simon als „Botschafter“ der EU im Hochtaunuskreis und den Praktikern vor Ort zeigte sich, dass hier wie dort Zielkonflikte bestehen. Am Ende politischer Prozesse stünden stets hart erarbeitete Kompromisse. Die Landwirtschaft habe einerseits die Aufgabe, die Bevölkerung mit Lebensmitteln und agrarischen Rohstoffen zu versorgen, gleichzeitig liege ihr Anteil an der Bevölkerung Deutschlands lediglich bei ca. 1,4 Prozent. Das Verhältnis zwischen Verantwortung für, und Repräsentation in der Bevölkerung sei mehr als ungleich. Um die Belange der Landwirtschaft in politische Findungsprozesse einzubringen brauche es starke Stimmen aus dem Berufsstand und die Unterstützung durch die Gesellschaft. Die Mitarbeit und das Engagement in Verbänden und Vertretungen sei hierfür unabdingbar. Damit verbindet sich ein Aufruf an alle Landwirt:innen, neben der täglichen Arbeit auch ein ehrenamtliches Engagement für die Branche zu übernehmen. Da die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe stetig abnehme, müssten ihre Stimmen und der Rückhalt in der Gesellschaft umso stärker werden.