Kreisverband der Europa-Union feiert 75-jähriges Bestehen

14. Oktober 2022

Hochtaunus/Oberursel (es/ut). Mit einem gewissen Stolz blickt der Kreisverband Hochtaunus der Europa-Union Deutschland e.V. auf sein 75-jähriges Bestehen zurück. Als Teil eines bundesweit bis heute aktiven pro-europäischen Verbandes mit 17.000 Mitgliedern, 16 Landesverbänden und zahlreichen Kreisverbänden gehört er zu den ältesten Vereinen. Zu den ersten gehörten „32 Gründerinnen und Gründer aus dem damaligen Obertaunuskreis, ältere Menschen, Frauen und Männer aus insgesamt sieben Städten, und zwar 19 aus Bad Homburg, 7 aus Oberursel, 4 aus Kronberg und einer aus Königstein“, so Hildegard Klär, Vorsitzende der Europaunion. Weitere kamen aus Frankfurt am Main und anderen hessischen Städten und Gemeinden und sie ergriffen die Initiative, eine „Europa-Union“ gründen zu wollen. Im September 1947 stellten sie bei der zuständigen amerikanischen Besatzungsbehörde in Wiesbaden einen Antrag auf Lizensierung auf hessischer Ebene. Eine monatelange Wartezeit ohne Entscheidung folgte. Schließlich reagierte Carl Prill, ein Journallist aus Bad Homburg, im Mai 1948 mit einem zweiten Schreiben. Er verwies in seinem Brief auf die Tatsache, dass sich bereits Ende Juli 1947 eine Arbeitsgruppe der „Europa-Union Obertaunus“ gebildet hatte und mitlizensiert werden wollte. Der Kreisverband Hochtaunus betrachtet damit die Bildung der Arbeitsgruppe im Juli 1947 seit vielen Jahren als sein Gründungsdatum.

Wer waren die Leute mit „Europa im Kopf“?

Auf der Liste der Mitglieder im Obertaunuskreis finden sich viele bekannte und nicht so bekannte Persönlichkeiten aus verschiedenen Städten des Kreises, u.a. Oberbürgermeister Dr. Georg Eberlein aus Bad Homburg, der Obertaunuslandrat August Lüdge, der Kronberger Bürgermeister Adam Zubrod. Darüber hinaus der Gründer der heutigen Volkshochschule Hochtaunus Wilhelm Wollenberg aus Oberursel, der zu dem Zeitpunkt Kreistagsabgeordneter war, und auch ein Landtagsabgeordneter, er hieß Leonhard Heißwolf, sowie weitere Bürgeri:nnen, darunter u.a. ein Professor, ein Student, eine Pianistin und ein Aufzugführer werden aufgelistet.

Europa – ein Lichtblick in der ersten Nachkriegszeit?

Wenn man auf diese Zeit zurückschaut, mag es verwundern, dass Menschen sich für ein einiges Europa einsetzten und vor der Tür noch die Trümmerberge hatten, und äußere und innere Verwundungen durch den zweiten Weltkrieg aufwiesen neben der Sorge um das tägliche Brot. Dazu kamen die Flüchtlinge aus dem Osten und die vielen Menschen, die Haus und Hof verloren hatten oder ohne Arbeit waren. Vielleicht sogar alles zusammen. Aber die Einigung Europas war schon lange vor Kriegsende bei vielen Menschen im Kopf. Nicht nur in Deutschland, sondern an vielen Stellen in Europa wollte man versuchen, über die Grenzen hinweg den Kontinent zu einigen, um zukünftig Kriege zu verhindern. So wurde am 9. Dezember 1946 in Syke bei Bremen bereits die „Europa-Union Deutschland“ gegründet. Der erste Kongress des neuen Verbandes, der von Anfang an für eine Europäische Föderation stand, fand im Juni 1947 in Eutin mit ca.200 Delegierten statt. Dieses Ereignis mag auch der Auslöser gewesen sein für das zunächst nicht beantwortete Schreiben an die amerikanische Besatzung in Wiesbaden im Juli desselben Jahres.

Grußworte aus der Kommunalpolitik

Bürgermeisterin Antje Runge freute sich, die Teilnehmer:innen im Rathaus Oberursel begrüßen zu dürfen. „Die europäische Idee, die Einigung Europas, die es damals gab ist schon kurz nach dem Krieg geboren worden und ist Garant für einen dauerhaften Frieden, für Wohlstand und Demokratie auf unserem Kontinent. Heute wie damals muss es mutige Menschen geben, die sich hierfür einsetzen. Die Ideen brauchen wir heute mehr denn je“, so Runge.

Renzo Sechi überbrachte die Grüße des Hochtaunuskreises und schilderte ziemlich persönlich seine Einstellungen zu Europa. „Mein Name stammt aus Sardinien. Mit eineinhalb Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Ich bin 60 Jahre alt, mein Vater war Kellermeister und am Ende seines Berufslebens Betriebsleiter. Integration und Europa war für mich immer ein Thema“, so Secci. Seine Frau ist Deutsche und seine Kinder haben neben dem Deutschen auch einen Italienische Pass. Seine Mutter will mit 82 ihre neu gewonnene Heimat Deutschland nicht mehr verlassen. „Ich und meine Kinder haben in vielen anderen Städten in Europa studiert und ohne die Europäische Union wäre dies nicht möglich gewesen“, so sein Resümee.

Die Geburtsstunde der DGAP in Oberursel

Der Festredner, Historiker und Heimatforscher Manfred Kopp an die Geschichte der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Sie ist politisch unabhängig, forscht und berät die Politik, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Die Gesellschaft hat 2.800 Mitglieder mit einem Altersdurchschnitt von 42 Jahren, also kein ‚Antikverein‘“, so Kopp. 45 Expert:innen arbeiten dort. Es haben Fachkonferenzen und Symposien zwischen Mai 2021 und Mai 2022 mit 15.700 Personen stattgefunden. Die Zeitschrift ‚Internationale Politik – Das Magazin für globales Denken‘ erscheint zweimonatlich und ein Informationszentrum nutzt alle Möglichkeiten des Internets. Es gibt noch viele historische Schriften, die in diversen Instituten auf ihre Entdeckung warten.

„Die Entstehung der GDAP begann in Oberursel 1945 in der ehemaligen Gartenstraße 12, der heutigen Korfstraße. Damals rund 200 Meter entfernt vom Rathaus in Oberursel, wurde eine Zeitung gegründet. Gegenüber war die Druckerei und im Lagerraum einer Schreinerwerkstatt begannen die ersten Mitarbeiter ihre Arbeit“, erzählt der Heimatforscher. Mit der offiziellen Registrierung des Verlagsunternehmens „Europa-Archiv“ legt Wilhelm Cornides, 1920 geboren und Sohn einer Münchner Verlegerfamilie, ihr Fundament. Während des Krieges arbeitete er in London und später als Dolmetscher für die Amerikaner und konnte so sehr viel lernen, was für die Gründung der Zeitschrift notwendig war. Nach dem Krieg ging er zunächst nach Frankfurt am Main, weil dort die US-Armee ihren Sitz hatte und er glaubt, dass dort auch die zukünftige Regierung und viele Botschaften ihren Sitz haben werden. Er hält seine Pläne fest, eine neue Weltordnung, bestehend aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aufzubauen. Nach Bewilligung durch die Besatzungsbehörde erscheint im Juli 1946 die erste Ausgabe der Zeitschrift in einer Auflage von 10.000 Stück.

Fragen über Fragen

Kopp reiste für den Vortrag nach Berlin zur GDAP und konnte dort Einblick in Umzugskartons nehmen, die Informationen aus dieser Zeit enthielten. Sie enthielten Protokolle, Mitarbeiteranweisungen, Rechnungen und vieles mehr. „Zwei der vielen Fragen, die sich Cornides offensichtlich stellten, möchte ich hier nennen“, so Kopp, „zunächst die, wo das Papier herkommen sollte. Es wurden ihm 10 Tonnen zugewiesen, die aus München geholt werden mussten. Doch als sie in Oberursel ankamen, waren die Papierrollen zu breit für die Druckmaschine und wurden in Kriftel neu zugeschnitten. Der Transport erfolgte mit einem kohlebetriebenen LKW.“ Als zweites Beispiel nannte er die Schwierigkeiten mit den Stromsperren, die zweimal in der Woche den Betrieb störten. Es musste auch nachts gearbeitet werden, damit die Ausgaben pünktlich erscheinen. Um die Arbeitsräume anständig zu beleuchten, bat Cornides um Glühbirnen bei der Militärverwaltung. „Als er 1949 die Übersiedlung nach Frankfurt vorbereitete, gibt er den Bestand mit mehr als 500.000 Zeitungsausschnitten, aufbewahrt in 850 Leitzordnern und 1.900 Schnellheftern an. Einen ständigen Bezug von 190 Publikationen und in der Bibliothek stehen 3.000 Bände“, und Kopp weiter, „er hat für die Auswertung von Anfang an internationale Maßstäbe angelegt.“

Hermann Volle übernimmt 1949 die Chefredaktion der Zeitschrift, Wilhelm Cornides bleibt Herausgeber. Am 29. März 1955 erfolgte die Gründung der DGAP und 1960 die Umsiedlung nach Bonn. 1966 stirbt Wilhelm Cornides im Alter von 46 Jahren.

Mit dem Ausblick, dass die DGAP heute auch Firmen berät, die international tätig sind oder werden wollen, beendet Kopp seinen Rückblick auf einen Pionier der europäischen Idee.

Entstehung der ‚Europäischen Union‘

Christopher Kopper, Professor für Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld, rundete die Feierstunde mit seinem Vortrag ab, wie die Europäische Union entstanden ist. Normalerweise kämen heute meist nur Regierungen, Staatspräsidenten, Außenminister vor, wenn über Europa berichtet wird, aber nur selten die gewöhnlichen Europäer:innen. „Wer Bilder aus den 50er Jahren aus dem Internet herunterlädt, sieht meist nur junge Leute, Männer wie Frauen, die durch öffentliche Aktionen an ziemlich geschlossenen Grenzen fordern, diese für alle zu öffnen“, so Kopper.

Damals brauchte man noch ein Visum, um in die Niederlande einzureisen und ein weiteres, um nach Frankreich zu kommen. Die ‚Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl‘, auch Montanunion genannt, sei die erste der Vorläufer-Organisationen der heutigen Europäischen Union gewesen. Gegründet wurde sie 1951. „Europa eine Seele zu geben“ – das sei die hartnäckige Forderung derer gewesen, die sich mit Europa als bloßer Wirtschaftsgemeinschaft nicht abfinden wollten. Ihr Vorreiter sei der französische Außenminister Robert Schuman gewesen: „Ein echter Europäer.“ Hintergrund war auch, dass Deutschland nie wieder mit Hilfe von Kohle und Stahl aufgerüstet werden kann. 1957 wurde durch die ‚Römischen Verträge‘ dann die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit Sitz in Luxemburg gegründet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde im Vertrag von Maastricht 1992 beschlossen, den Binnenmarkt durch die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion zu stärken und die Einführung einer einheitlichen Währung, dem späteren EURO, vorzubereiten. Durch die Einführung einer Unionsbürgerschaft, die die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt, erhielten die EU-Bürger zahlreiche zusätzliche Rechte. Auch die Schaffung von Arbeits- und Sozialrechten spielte dabei eine Rolle.

„Jetzt könnte man meinen, dass alles nur durch Regierungen vorangetrieben wurde, aber es gab auch Ansätze in der Bevölkerung“, erläuterte Kopper. In Italien entstand 1943 das Movimento Federalista Europeo des antifaschistischen Widerstandskämpfers Altiero Spinelli. Dieser hatte 1941 auf der italienischen Verbannungsinsel Ventotene zusammen mit Ernesto Rossi das sozialistisch inspirierte Manifest von Ventotene verfasst, das zur revolutionären Gründung eines europäischen Bundesstaates nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufrief und vor allem in europäischen Widerstandskreisen Verbreitung fand. Aus dieser und ähnlichen Initiativen entstand schließlich die Union Europäischer Förderalisten (UEF), der zum heutigen Dachverband der Europa-Union Deutschland wurde.

Christopher Kopper beschloss die Reihe der Vorträge und die Feiernden konnten bei dem darauffolgenden, geselligen Zusammensein ausgiebig miteinander diskutieren.