GW2554m ist Grund für Information – und Emotion

Von Petra Pfeifer, 20. April 2023

Hessen/Hochtaunuskreis. Er besitzt die Kennung GW2554m, lebt im Hochtaunus und hat nachweislich im September 2022 bei Kransberg auf einer Weide Schafe gerissen: der erste Wolf, der sich nach über 100 Jahren wieder im Kreisgebiet angesiedelt hat. Mittlerweile sind auch andere Risse bekannt geworden, die aber nicht einem Individuum zugeordnet werden konnten, und so wurde der Hochtaunuskreis zum Wolfspräventionsgebiet. Das sorgt selbstverständlich für Emotionen.

Grund genug, mal einen Informationsabend zum Thema Herdenschutz, entsprechende Fördermöglichkeiten sowie Schadensausgleich bei bestätigtem Nutztierriss anzubieten. Eine Einladung des Wolfszentrums Hessen, der rund 250 Personen ins Bürgerhaus Wehrheim Folge leisteten. In Anbetracht des gut gefüllten Saales meinte dann auch Moderatorin Dr. Angela Velthuis von der PfO Beratungsgesellschaft: „Es war klar, dass dieses Thema auf größere Resonanz stoßen würde.“ Gleichzeitig kündigte sie an, dass es nach jedem Vortrag eine kleine Fragerunde geben werde, damit jeder Interessierte die Möglichkeit erhalte, sich aus erster Hand zu informieren. Denn: „Viele sind verunsichert, was das Land tut, um das Zusammenleben mit dem Wolf zu ermöglichen. Diese Veranstaltung dient dafür, Klarheit zu schaffen.“

Frank Hammen, Parlamentsvorsteher der Gemeindevertretung Wehrheim, begrüßte die Versammelten mit der Feststellung, dass Wehrheim eine Gemeinde mit sehr starker Tierhaltung sei: „Und da der Wolf nicht spurlos an uns vorbei ging, sondern wir auch Vorfälle hatten, passt es, dass wir uns hier versammeln.“

Wolfsvorkommen in Hessen und in der Region

Erste Vortragende war Susanne Jokisch vom Wolfszentrum Hessen, das in der Abteilung Naturschutz des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie angesiedelt ist. Unter der Überschrift „Aktueller Stand zum Wolfsvorkommen in Hessen und in der Region“ ging sie zunächst einmal auf die Arbeit des Wolfszentrums ein: „Wir sind für das Monitoring zuständig und erste Ansprechpartner für alles rund um den Wolf.“ Daher sei die Wolfshotline auch von Montag bis Sonntag unter der Rufnummer 0641 20009522 erreichbar. Zusätzlich gibt es auf der Homepage des Wolfszentrums einen Meldebogen, um Sichtungen anzugeben, und wer möchte, kann sich auch per Mail an wolf@hlnug.hessen.de mit der Einrichtung in Verbindung setzen.

„Wenn ein Nutztierschaden eingetreten ist, sollte er möglichst sofort oder spätestens nach 24 Stunden gemeldet werden“, führte Susanne Jokisch weiter aus. Eine solch zeitnahe Information sei der festzustellenden DNA geschuldet, die „eine sehr fragile Sache ist“. Diese werde den feinen Speichelspuren entnommen, um einen Wolf auszuschließen oder nachzuweisen.

Bildnachweis in Neuenstein (Kreis Hersfeld-Rotenburg) aus dem Februar 2023.- Foto: HLNUG

Dann ging der Blick mal zurück: „Im Jahr 2000 gab es den ersten Wolfsnachwuchs in Deutschland, nämlich in der Lausitz, acht Jahre später tauchte ein einsamer Rüde im Reinhardswald auf.“ Die Verbreitung der Wölfe erfolge vom Osten hauptsächlich in den Nord-Westen Deutschlands: „Die Mitte und der Süden werden spärlicher besiedelt.“ Erst im Jahr 2021 habe es in Rüdesheim die erste Reproduktion für Hessen gegeben, im vergangenen Jahr zusätzlich noch in der Rhön im Territorium Wildflecken, was Hessen sich mit Bayern teilt und im Werra-Meißner-Kreis im Territorium Waldkappel.  Zahlreiche Hinweise auf Wölfe (im vergangenen Monitoringjahr 2021/2022 insgesamt über 650)  gehen beim Wolfszentrum aus allen hessischen Landkreisen ein. Dort werden diese Meldungen ausgewertet, von den über 650 Hinweisen des letzten Monitoringjahres konnten rund 40 Prozent (265 von 653) sicher dem Wolf zugeordnet werden.

Der hiesige GW2554m – GW steht für Grauwolf, die Zahlenfolge für die Genetik-Nummer und m bzw. w für männlich bzw. weiblich – sei am 16. März 2022 zum letzten Mal erfasst worden und habe sein Territorium bei Butzbach, belaufe zwar vorwiegend die Landkreise Wetterau und Hochtaunus, wurde aber auch schon im Lahn-Dill-Kreis und weiter westlich nachgewiesen. In seinem Kerngebiet wurde er im Juni 2022 in Friedrichsdorf und im vergangenen Oktober in Rosbach v.d.H. genetisch bestätigt: „Er scheint eine große Fläche zu belaufen.“ Darüber hinaus gab es folgende Informationen: Im Monitoringjahr 2022/23 habe es insgesamt 58 Hinweise auf einen Wolf in den Landkreisen Hochtaunus und Wetterau gegeben, 15 mal wurde dabei ein Wolf (Canis lupus) bestätigt, bei fünf dieser Nachweise handelte es sich  um Nutztierrisse.

Eine Zuhörerin möchte im Anschluss gerne wissen, wann ein Nachweis gilt. „Wenn Sie uns Fotos schicken, sind dies sehr wertvolle Informationen“, lautet die Antwort. Allerdings muss jeder Standort, an dem ein Wolfsfoto angefertigt wurde, verifiziert werden. Dazu benötigt das Wolfszentrum jeweils eine genaue Standortbeschreibung in Form von Koordinaten, um Vergleichsfotos anfertigen zu können: „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass ohne solche Angaben ein und der selbe Wolf angeblich schon in den verschiedenen Bundesländern aufgetaucht ist, was nicht zutreffend war.“ Daher die Regel: „Wir müssen den Standort aufsuchen können.“ Erst dann sei ein Nachweis zu verifizieren, der dann auch auf der Homepage des Wolfzentrums veröffentlicht werde.

Um das Monitoring zu unterstützen sei es wichtig, alle Sichtungen zu melden: „Sichtungen, die nicht gemeldet werden, schaden, denn sie fehlen im Gesamtbild.“ Die jeweilige Quelle werde auf Wunsch selbstverständlich anonym gehandhabt.

Schutz von Weidetieren

Martin Steffens vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen mit Sitz in Kassel übernahm anschließend den Part, über „Die Möglichkeiten zum Schutz von Weidetieren vor Wolfsübergriffen“ zu referieren. Er schützte jedoch gleich vor: „Es gibt keinen absoluten Schutz!“ Wölfe seien lernfähig und würden aus Erfahrung lernen: „Also muss er lernen, dass es wehtut, wenn er ein Weidetier reißen will.“ Da der Wolf den Weg des geringeren Widerstands gehe, sei ein dauerhaft unter Strom stehender Elektrozaun am wirksamsten: „Denn auch das Springen muss so ein Tier erst lernen.“

Bildnachweis in Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) aus dem März 2023. – Foto: HLNUG

Ungeschützte oder unzureichend geschützte Herden hingegen würden dem Wolf dazu verhelfen, sich an leichte Beute zu gewöhnen und er werde sich im Zweifel immer mehr darauf spezialisieren. Jede Tierhalterin und jeder Tierhalter müsse sich im Klaren darüber sein, dass, wenn er oder sie die Weidetiere nicht ausreichend schützt, damit auch den Schutz aller Weidetiere im Revier eines Wolfs senkt. Daher laute das Gebot der Stunde: „Alle müssen mitmachen!“

Im Übrigen sei der Grundschutz von Weidetieren streng geregelt. Die Litzen sollten in einem Abstand von 20, 40, 60 und 90 Zentimeter ab Boden verlaufen, das betreffe sowohl kleine Weidetiere als auch größere wie zum Beispiel Rinder. Auch auf die vorgeschriebene Erdung gelte es zu achten: „Sie ist das A und O, denn der erste Schlag muss sitzen!“ Des Weiteren gelte es, Einsprunghilfen zu vermeiden, zum Beispiel Silageballen nicht zu dicht am Zaun zu deponieren oder von einem festen oberen Abschluss wie Holzlatte oder Brett am Zaun abzusehen. Totholzhecken als Einfriedung würden zwar von seinen Kollegen in der Diversität sehr geschätzt, würden dem Wolf aber zuspielen.

Auch den Herdenschutzhund, der ebenso wie der Grundschutz von Weidetieren in Form von Zäunen gefördert wird, brachte Martin Steffens zur Sprache: „Sie müssen mindestens zu zweit gehalten werden. Doch nicht alle, die jetzt auf dem Markt aufpoppen, tun, was sie sollen.“ Künftige Halter sollten sich auch im Klaren darüber sein, dass es sich bei diesen Tieren nicht um „Familienhunde“ handele. Ihre Halter müssten eine entsprechende Qualifikation nachweisen, denn manche dieser Hunde stehen auf Listen gefährlicher Hunderassen und ihre Erziehung erfordere viel Kenntnis und Erfahrung.

Fördermöglichkeiten beim Herdenschutz

Mit den „Fördermöglichkeiten beim Herdenschutz in Hessen“ befasste sich anschließend Dr. Klaus Erdle, Fachbereichsleiter Ländlicher Raum im Hochtaunuskreis. Ein wichtiger Hinweis auf die Aufgaben seines Bereichs: „Wir sind Ansprechpartner, wenn Sie einen Antrag stellen. Die Zahlung obliegt der WI Bank.“ In Bezug auf Weidenschutzzäune lautete seine dringende Empfehlung hinsichtlich der aktuellen Bestände: „Nicht wegschmeißen, sondern aufrüsten.“

Auch auf Form und Inhalt der Antragstellung ging Dr. Klaus Erdle ein: „Beschreiben Sie Ihr Problem – am besten auf einem gesonderten Papier – so genau wie möglich, damit wir verstehen, wo der Knackpunkt ist.“ So könnten die Bearbeiter obendrein sehen, wie geholfen werden kann, wenn es keine Fördermöglichkeiten gibt. Zudem sollten Antragsteller sicher gehen, wann sie mit der Aufrüstung anfangen dürfen. Wichtig zu beachten seien obendrein die Zweckbindungsfristen, die bei einem Mobilzaun fünf Jahre und bei einem Festzaun sieben Jahre umfassen. Und dann noch einmal der Appell: „Wenn Ihnen der Antrag zu kompliziert erscheint, fragen Sie immer nach. Wir sehen bei vielen Fällen Fördermöglichkeiten – wenn auch unter Umständen aus einem anderen Topf.“

Schadensausgleich

Da es mittlerweile einige emotionale Einwürfe bei dieser reinen Informationsveranstaltung gegeben hatte, eröffnete Ulrich Götz-Heimberger von Regierungspräsidium Darmstadt seinen Part unter der Überschrift „Schadensausgleich bei bestätigtem Nutztierriss“, dass er selbst Tierhalter ist und daher – wie seine Vorredner – viel Verständnis für die Tierhalter habe. Dennoch musste er hin und wieder um möglichst große Sachlichkeit bitten, was manchen Zuhörern nicht leicht fiel.

Zunächst einmal wies er darauf hin, dass es sich bei jedem Schadensausgleich für durch den Wolf verursachte Schäden an Tieren um eine freiwillige Zahlung des Landes handele, auf die es keinen Rechtsanspruch gibt. Doch für den Fall, dass keine Haushaltsmittel mehr vorhanden seien, würden nach Möglichkeit andere „Töpfe“ gesucht. In diesem Zusammenhang auch seine Mahnung: „Melden Sie uns alles!“ Nur dann könne sich das „Puzzle“ für die beteiligten Behörden zusammensetzen.

Bildnachweis in Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) aus dem März 2023. – Foto: HLNUG

Naturgemäß kam angesichts der allmählich immer emotionaler werdenden Einwürfe aus der Zuhörerschaft auch die Sprache auf die Werte der Tiere, doch hier musste Ulrich Götz-Heimberger mit Rücksicht auf die rein sachlich angelegte Informationsveranstaltung beschwichtigen: „Das können wir hier nicht diskutieren.“ Fest steht jedoch: „Die Wertermittlung erfolgt auf Grundlage eines landesweit einheitlichen Berechnungsschemas. Die Höhe des Schadens an Nutztieren ist betragsmäßig begrenzt. Abhängig von der Tierart kann der Höchstsatz zwischen 800 bis 6.000 Euro je Tier betragen, in besonderen Einzelfällen kann nach Beurteilung durch Sachverständige oder entsprechende Nachweise davon abgewichen werden.“

Weiter ging es mit dem Hinweis, dass pro Betrieb maximal 30.000 Euro Schadensausgleich pro Jahr gezahlt würden: „Das sind vorgegebene Rahmenbedingungen. Wenn diese nicht passen, wird weiterkommuniziert.“ Zu beachten sei jedoch, dass geschädigte Tiere den Vorgaben der „Richtlinie Weidetierschutz“ entsprechend gehalten worden sein müssen. Außerdem erfolgten Zahlungen nur für auf der Weide gehaltene landwirtschaftliche Nutztiere sowie Hüte- und Herdenschutzhunde. Tierarztkosten werden in voller Höhe, einschließlich der Medikamentenkosten (Nachweis durch einzureichende Belege), gewährt.

Anträge auf Billigkeitsleistungen sind schriftlich beim zuständigen Regierungspräsidium (RP) zu stellen. Die beizufügenden Unterlagen ergeben sich aus dem Antragsvordruck, welcher bei einem nachweislich durch den Wolf verursachten Schadensfall ausgehändigt wird.

Auf jeden Fall: Die Billigkeitsleistung wird nur gewährt, wenn der Wolf als Verursacher mit hinreichender Sicherheit amtlich festgestellt wurde. Hierzu ist in der Regel die Vorlage einer Genprobe erforderlich, die spätestens innerhalb von 48 Stunden nach der Meldung des Schadensfalls durch eine Amtsperson oder behördlich beauftragte Person zu nehmen ist. Dass verletzte Tiere bis zur Begutachtung bzw. Probennahme nicht behandelt werden dürften, sei falsch. Verletzte Tiere sollten selbstverständlich so schnell wie möglich behandelt werden: „Auch der Tierarzt kann eine Probe vom Bissrand nehmen, im Idealfall nach Rücksprache mit den KollegInnen der Wolfshotline.“ Allerdings sei im Fall eines Falles die Wolfshotline des Landes Hessen oder eine Person im hessischen Wolfsmanagement unverzüglich zu informieren

Die Protokollierung erfolgt durch die durch das WZH benannten amtlichen oder ehrenamtlichen Wolfsberater:innen. Eine Protokollierung der beim Wolfsübergriff getöteten, verletzten oder anderweitig beeinträchtigten Tiere sei für jeden Einzelfall erforderlich. Die Billigkeitsleistung werde nur gewährt, wenn der Wolf als Verursacher mit hinreichender Sicherheit amtlich festgestellt wurde.

Viele weiterführende Informationen rund um das Thema Wolf gibt es auf der Internetseite des Hochtaunuskreises.