Taufe und Jungfernfahrt des ersten Fahrzeugs der größten Wasserstoffzug-Flotte der Welt

„Bad Homburg“ hat Fahrt aufgenommen

7. Dezember 2022

Frankfurt/Hochtaunus (pit/ut). Ruhig und abwartend steht er da, auf Gleis 1 im Frankfurter Hauptbahnhof. Zwar schnauft er im Gegensatz zu seinen Vorfahren nicht, aber auch er dampft ein klein wenig vor sich hin: Der Coradia iLint, der intelligente, leichte, innovative Nahverkehrstriebwagen. Wesentlich trubeliger sind die Menschen um ihn herum. Immer wieder zucken Blitzlichter über ihn, jede Menge Foto- und Filmkameras sind auf ihn gerichtet, bewundernd streifen die ersten Gäste durch seine Gänge. Kein Wunder, denn mit diesem iLint geht der erste Wasserstoffzug in der Taunusregion an den Start, der erste einer Flotte von 27 Fahrzeugen dieser Art, die ab Mitte 2023 auf den Schienen des Taunusnetztes unterwegs sein werden, somit der größten ihrer Art.

Und somit hätte der iLint ruhig ein wenig aufgeregter und vor allem mehr vor sich hin dampfen dürfen, denn es ist der Tag sowohl seiner Taufe und als auch seiner Jungfernfahrt. Als Taufpaten sind erschienen: Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Ulrich Krebs, Landrat des Hochtaunuskreises und stellvertretender RMV-Aufsichtsratsvorsitzender, RMV-Geschäftsführer Professor Knut Ringat, Müslüm Yakisan, Präsident der Region DACH bei Alstom, sowie Dr. Oliver Jedynak, neues Mitglied des RMV-Aufsichtsrats und Bürgermeister von Bad Homburg. Denn dort soll die Reise hingehen und vor allem: „Bad Homburg“ ist der Name dieses ersten Zuges, dieses „Stammhalters“ der für so viel Furore sorgt.

Auch die verwundert wenig: „Wir können stolz darauf sein, dass die weltweit größte Flotte von Zügen dieser Art hier im Rhein-Main-Gebiet, hier in Hessen, hier im Taunusnetz unterwegs sein wird“, so Tarek Al-Wazir, der sich bei allen bedankte, die daran mitgearbeitet haben, dieses Projekt umzusetzen: „Ganz am Anfang stand natürlich die Entscheidung des Rhein-Main-Vehrkehrverbund (RMV) in eine solche Richtung zu denken.“ Der zweite besonders wichtige Partner sei die Infraserv, „weil wir hier – und das macht das Besondere des Projekts aus –, direkt am Standort eine Tankstelle haben, wo dieser Wasserstoff als Nebenprodukt der chemischen Produktion anfällt“. Das Besondere sei obendrein, dass alle Züge an deren Standort in Höchst vorbeifahren und dort eben auch tanken könnten.

Ein Meilenstein der Verkehrswende

Als dritten großen Partner benannte der Minister das Unternehmen Alstom als Hersteller, der sich auf den Weg gemacht hat, und die Region insgesamt, vertreten durch Landrat Ulrich Krebs. Natürlich gehörten auch Land und Bund zu den Förderern. Aber ganz besonders hervorzuheben: „Ab sofort rollen die ersten Wasserstoffzüge durch Hessen: Das ist ein Meilenstein der Verkehrswende und enorm wichtig für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor.“ Darüber hinaus seien die Züge ein Riesengewinn an mehr Platz, sie seien komfortabler, attraktiver, schneller – am Ende einfach besser. „Komfort auch für die, die draußen sitzen. Stichwort: Emission des Zuges an der Strecke – auch das gehört ja dazu“, so Tarek Al-Wazir und widmete sich der Frage, warum das so wichtig ist: „Wir sind auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045, das ist quasi übermorgen, wenn man Investitionszyklen betrachtet.“

V.l.n.r.: Müslüm Yakisan, Ulrich Krebs, Tarek Al-Wazir, Dr. Oliver Jedynak und Prof. Knut Ringat.

Daher müsse der ÖPNV attraktiv und nachhaltiger werden, es müsse elektrifiziert werden, wo das schnell und gut möglich ist. „Aber da, wo das nicht so gut geht, wo wir es mit Tunneln zu tun haben, wo wir schnelle Ergebnisse haben möchten, bietet auch Wasserstoff eine Chance und die wollen wir hier nutzen. Das ist ein Baustein der Ressourcen und Energiewende und wir Hessen können stolz darauf sein, dass wir den größten Baustein, den es bisher weltweit gibt, hier jetzt haben. Deswegen ist das heute auch für mich ein großartiger Tag. Allzeit gute Fahrt!“

Eine mutige Entscheidung

Landrat Ulrich Krebs: „Es war eine mutige Entscheidung und jetzt geht es los: Die erste Strecke im Taunusnetz wird mit Wasserstoffzügen emissionsfrei befahren. Nicht nur der Antrieb ist ein Schritt in die Zukunft, auch die Ausstattung der modernen Fahrzeuge lässt keine Wünsche offen.“ In der Doppeltraktion könne der Zug 320 Personen befördern auf einer Strecke, die sich immer mehr Beliebtheit erfreue – und dabei 700 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Er freute sich nicht allein für die arg gebeutelten Taunus-Wälder, rückblickend auch dass die Entscheidung damals, als die DB die Strecken im Taunus stilllegen wollte, die regionalen Verkehrsbetriebe gegründet wurden, was eine grundrichtige Entscheidung gewesen sei: „Mit 5000 Fahrgästen pro Tag ging es damals los, heute sind es 11.000 täglich.“ In Bezug auf die Namensgebung der Züge kündigte der Landrat an: „Es ist eine alte Tradition, sie nach Städten und Gemeinden zu benennen.“ Und abschließend wünschte er: „Allzeit gute Fahrt und einen großen Erfolg des Projekts.“

Professor Knut Ringat sprach von einem „tollen Tag für die RMV-Fahrgäste“ und kündigte an: „Ab Sonntag bringt der RMV Wasserstoff im Regelverkehr auf die Schiene. Wir unterstreichen damit unsere Vorreiterrolle bei der Antriebswende.“ Mit Blick auf die weltweit größte Wasserstoffzugflotte fügte er an: „Umso mehr wollen wir verdeutlichen, wo dieser Rekord zu Hause ist. Mit dem Namen ‚Bad Homburg‘ zeigen wir, dass dieser Zug in die Region gehört.“ Und da in diesem Zusammenhang Wasser eine große Rolle spiele, verriet er auch, welches Wasser sich in den fünf für die Taufe bereitstehenden Flaschen befinde: „Darin ist zu gleichen Teilen Wasser aus dem Dornbach und dem Main.“ Beide Gewässer seien völlig unterschiedlich, doch sie hätten ein gemeinsames Ziel: „Den Rhein.“

Und dann war es endlich so weit, die fünf Paten schritten zur Tat und schon im nächsten Moment war der Zug getauft. Der Täufling wiederum zuckte nicht, ruckte nicht, schnaufte auch in diesem Augenblick nicht, sondern dampfte weiter sanft vor sich hin – um kurz darauf leise surrend von „Pilot“ Steffen Reuter über die Strecke geleitet zu werden: Rödelheim, Weißkirchen/Steinbach, Oberursel-Stierstadt, Oberursel und schließlich und endlich die Kur- und Kongressstadt Bad Homburg vor der Höhe, die er pünktlich um 10.36 Uhr erreichte – ein vorbildlicher „Stammhalter“.

Mehr Kapazität, lokal emissionsfrei und kostenfreies WLAN

Der Coradia iLint 54 der Firma ALSTOM wird mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle betrieben, die elektrische Energie für den Antrieb erzeugt. Die Triebfahrzeuge sind so leise wie Elektro-Triebfahrzeuge und verursachen bei der Fahrt keine Emissionen, weil sie lediglich Wasserdampf und Wärme an die Umwelt abgeben. Mit 160 Sitzplätzen je Fahrzeug bieten die iLint außerdem mehr Platz als die bisher eingesetzten Dieselzüge. Die Wasserstoffzüge sind mit umfangreichen Fahrgastinformationssystemen, wie Monitoren mit Echtzeitinformationen, ausgestattet und verfügen über Platz für Fahrräder, Rollstühle und Kinderwagen. Außerdem bieten sie den Fahrgästen während der Fahrt kostenfreies WLAN.

DB-Tochter start übernimmt Betrieb der Wasserstoffzüge

Ab Dezember starten die ersten Fahrzeuge der insgesamt 27 Züge starken Flotte im Taunusnetz. Zunächst werden diese auf der Linie RB15 eingesetzt. Die weiteren Fahrzeuge werden sukzessive im Frühjahr 2023 geliefert und nach und nach in den Betrieb übernommen. Das Taunusnetz umfasst vier bislang teilweise nicht elektrifizierte Strecken:

  • RB11 (Frankfurt-Höchst – Bad Soden)
  • RB12 (Frankfurt – Königstein)
  • RB15 (Frankfurt – Brandoberndorf)
  • RB16 (Bad Homburg – Friedberg)

Den Betrieb der Wasserstoffzüge übernimmt die Regionalverkehre Start Deutschland GmbH (start). Die 100-prozentige DB-Tochter, die bereits erfolgreich zwei Netze in Norddeutschland betreibt, setzte sich in einer europaweiten Ausschreibung durch und löst im Dezember die bisherige Betreiberin, die Hessische Landesbahn GmbH (HLB), ab. Um bis zur vollständigen Auslieferung der Wasserstoffzüge den Betrieb im Taunusnetz zur Gänze sicherzustellen, wird die HLB übergangsweise die Linien RB11 und RB16 bis Ende April weiterbetreiben. Dies ist ein außergewöhnliches Engagement im Sinne der Fahrgäste.

Mit ca. 500 Millionen Euro größter Auftrag der fahma-Geschichte

Beschafft wurden die Fahrzeuge über die Fahrzeugmanagement Region Frankfurt RheinMain GmbH (fahma), einer 100-prozentigen Tochter des RMV. Das Projektvolumen liegt bei ca. 500 Millionen Euro über 25 Jahre für Fahrzeugbeschaffung, Instandhaltung und Betankung. Das ist damit der größte Auftrag in der Geschichte der fahma. Der Hersteller Alstom hat diese Serviceleistungen an die DB Regio vergeben, die mit ihrem Werk in Frankfurt-Griesheim die Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge übernimmt.

Die Betankung der Fahrzeuge erfolgt im Industriepark Höchst. Dort fällt Wasserstoff als Nebenprodukt bei chemischen Prozessen an. Mit einem Elektrolyseur kann zusätzlich mit grünem Strom Wasserstoff gewonnen werden.

Mit rund 2,5 Millionen Euro fördert das Land Hessen den Bau der Schieneninfrastruktur für die Wasserstofftankstelle. Hinzu kamen 800.000 Euro für vorbereitende Gutachten und eine mobile Zugbetankungseinrichtung.

Der Bund investiert rund 24,3 Millionen Euro in das Projekt. Unter anderem finanziert er 40 Prozent der Fahrzeugmehrkosten, begrenzt auf 14,7 Millionen Euro, die im Vergleich zur Beschaffung herkömmlicher Dieselfahrzeuge anfallen. Zudem hat er den Bau der Wasserstofftankstelle in Höchst unterstützt.