„400 Jahre Zerstörung Kirdorfs“ – Eine herausragende Dokumentation
Von Petra Pfeifer, 10. Februar 2023
Bad Homburg. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich ortsgeschichtliche Themen zu erschließen. Im Bereich der Heimatkunde geschieht dies überwiegend mittels Vorträgen, Führungen oder/und Exkursionen. Die schwärzesten Tage in der Geschichte Kirdorfs jedoch hat eine Projektgruppe des Kirdorfer Heimatmuseums um Hans-Jürgen Gerlach und Stefan Ohmeis in langwieriger Arbeit zum Gegenstand eines 42-minütigen Dokumentarfilms gemacht. Es handelt sich um die Tage im Juni 1622, als die Landgemeinde Kirdorf mit voller Wucht von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges heimgesucht wurde.
Ein Format und ein Thema, das offenbar viele Menschen interessierte, denn rund 120 Personen fanden sich auf Einladung des Vereins für Geschichte und Landeskunde e. V. im KongressCenter ein, um viel Wissenswertes rund um das schreckliche Geschehen zu erfahren. „Damit freuen wir uns, Ihnen gleich bei unserer ersten Veranstaltung im neuen Jahr etwas Besonderes zu bieten“, so Vereinsvorsitzender Gregor Maier in seiner Begrüßung. Und wer dem „roten Faden“, dem Bericht von Sprecherin Anne Schwaabe aufmerksam folgte, konnte tatsächlich viele Informationen über die schrecklichen Geschehnisse des drei Jahrzehnte wütenden Kriegs und vor allem seine Auswirkungen auf diese Region mitnehmen.
Film ab
So setzte Anne Schwaabe zunächst bei den damaligen politischen Begebenheiten an, die zu dem Drama führten, das extreme Not verursachte und einen Großteil der Bevölkerung dahinraffte. Es folgte eine Darstellung der Finanzierung dieses Krieges: „Er kostete alle Beteiligten viel Geld. Da Kaiser Ferdinand II. an notorischer Geldnot litt, musste er eine passende Form der Kriegsfinanzierung finden.“
Die hatte Herzog Albrecht von Wallenstein zu bieten: „Er führte das ‚System der Kontributionen‘ ein. Er zwang alle Bewohner der Gebiete, durch die seine Armee kam, zur Kasse.“ Diese Art der Kriegsbeteiligung habe zu unglaublicher Brutalität und entsetzlichen Handlungen geführt – und viel Nachahmer gefunden. Unter anderem Christian Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem „tollen Christian“, den berüchtigten Söldnerführer, dessen Wesen und Vorgehen anschließend näher beleuchtet wurde.
Es folgte die Schilderung der damals in Kirdorf herrschenden Bedingungen, der Überfälle auf Orte in der Umgebung, zum Beispiel auf Wehrheim oder (Ober-)Ursel, und natürlich auf den hiesigen Flecken: „Alles Verzehrbare und sämtliche Haustiere nahmen die Räuber mit. Die Personen, die sich im Ort versteckt hatten, wurden aufgespürt und gepeinigt… Die meisten Frauen, egal ob alt, jung oder sogar noch Kind, wurden bestialisch vergewaltigt und misshandelt.“ Und schließlich: „Die Überlebenden standen vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hatten alles verloren.“ Wie also sollte es weitergehen? Wie das heutige Bestehen Kirdorfs zeigt: Ganz offensichtlich voran, denn „aufgeben war für sie (die Bürger) keine Option!“
Um all dies und viele weitere Informationen und Handlungsstränge darzustellen und aufleben zu lassen, hatten die Beteiligten insgesamt 400 Schnipsel zusammengestellt, was dank des hervorragenden Cuttings durch Filmemacher Hans-Jürgen Gerlach jedoch fließend und harmonisch vor den von der Arbeit begeisterten Zuschauer ablief. Auch Sprecherin Anne Schwaabe steuerte mit ihrer angenehmen Intonation ihren Teil zu dem überaus gelungenen Film bei, dessen Drehbuch wiederum Stefan Ohmeis geschrieben hatte.
Eine Dokumentation entsteht
Dieser verriet im Anschluss gern einiges über die Entstehung des Films: „Die Arbeitsgruppe gründete sich angesichts des bevorstehenden 400. Jahrestages der Zerstörung Kirdorfs im Jahr 2022 bereits 2018.“ Bis dato sei erst wenig über die damaligen Geschehnisse bekannt gewesen, das Wissen musste durch externe Forschung in umliegenden Gemeinden erweitert werden. Auch überregional wurde geforscht, ein Brief im Staatsarchiv in Würzburg ausfindig gemacht, Material aus Wiesbaden zusammengetragen. Darüber hinaus setzten sich die sechs Heimatforscher mit den bischöflichen Ordinariaten in Würzburg und Mainz in Verbindung, wandten sich an die Archive in Sulzbach, Höchst, Oberursel, Ober-Erlenbach und noch so manche andere.
Einen Zufallsfund gab es im Bad Homburger Stadtarchiv: „Mitarbeiter Andreas Mengel hat dort Vormundschaftsakten gefunden, die nur Kirdorf betrafen.“ Dadurch wurden nicht nur Namen von Überlebenden bekannt, sondern es konnte zum Beispiel auch belegt werden, wie es mit den plötzlich zu Waisen gewordenen Kindern und deren Besitz weiterging.
Und so setzte sich in den ganzen dreieinhalb Jahren allmählich das Puzzle zusammen, das aber nicht nur in den überaus sehenswerten Film mündete, sondern auch in einen Beitrag im Jahrbuch Hochtaunuskreis 2023, den Stefan Ohmeis ebenfalls unter der Überschrift „Aufgeben war keine Option – Die totale Zerstörung Kirdorfs vor 400 Jahren“ verfasste und der auszugsweise als PDF diesem Artikel beigefügt ist.
Das Jahrbuch des HTK – Wieder eine spannende Lektüre
Das Jahrbuch selbst trägt den Titel „Bad Homburg als regionales Zentrum“ und ist noch im Buchhandel zu erwerben. Geschichtsinteressierte können sich dank der vielen Standpunkte und unterschiedlichen Blickwinkel, die die Autoren einnehmen, durch dessen Lektüre ein hervorragendes Bild von dem Wesen, der Entwicklung, den Visionen, der Geschichte und den Geschichten rund um die Kur- und Kongressstadt machen. Ein Inhaltsverzeichnis samt Vorwort von Landrat Ulrich Krebs ist ebenfalls per Klick auf den Button unter diesem Artikel einsehbar.
Weitere Termine für eine Filmaufführung von „Aufgeben war keine Option – 400 Jahre Zerstörung Kirdorfs“ stehen aktuell nicht fest und ein Verkauf des Films ist nicht vorgesehen. Interessenten können sich jedoch gern an Kontakt@Museum-Kirdorf.de wenden, um sich individuell nach einer Filmvorführung zu informieren.