Eine erste Bilanz nach 36 Tagen Krieg in der Ukraine

Genügend Wohnraum zu finden, ist derzeit das allergrößte Problem

Von Petra Pfeifer, 31. März 2022

Königstein. Mittlerweile ist Tag 36 des Kriegs in der Ukraine. Viele Menschen sind geflüchtet, noch auf der Flucht oder versuchen zu flüchten. Manche, wenige von ihnen sind bereits in einer neuen Unterkunft angekommen. In Königstein sind mittlerweile über 190 Ukrainer:innen gemeldet – Stand: 31. März – und ein Bus mit weiteren 32 Personen ist auf dem Weg hierher. Zeit für Bürgermeister Leonhard Helm sowie Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer und Christian Schönwiesner von der Ukrainehilfe Königstein eine erste Bilanz über die angelaufenen Hilfen zu ziehen und auf die aktuelle Situation hinzuweisen.

„Gemeinschaftlich leisten wir eine tolle Arbeit“, resümiert der Rathauschef sowohl mit Blick auf die Kolleg:innen in der Stadtverwaltung als auch auf die Bürger:innen. Viel sei auch speziell der Leistung derer zu verdanken, die Geflüchtete bei sich aufgenommen hätten. Beispielhaft erzählt Leonhard Helm von dem Kontakt, der innerhalb von zweieinhalb Stunden eine Wohnung für eine Familie mit vier Kindern hergerichtet habe: „Von vier Kinderbetten bis zur Kinderschokolade im Kühlschrank war alles in dieser Zeit fertig gestellt.“ Tagtäglich begegne ihm eine Hilfsbereitschaft, „die unglaublich ist“.

„Wir haben in der Verwaltung so viele Corona-Ausfälle wie nie zuvor. Viele von ihnen befinden sich mit ihren Kindern in Quarantäne, daher erledigen sie ohne Unterlass ihre Aufgaben von zu Hause aus.“ – Bürgermeister Leonhard Helm.

Denn nach der Unterbringung müsse auch umgehend für die Anmeldung Sorge getragen werden. Es sei ein Verfahren entwickelt worden, damit dies schnellstmöglich umgesetzt werde. In diesem Fall dankte Helm der intensiven Mitarbeit des evangelischen Pfarramts. „Dieser Dank gebührt vor allem unserer Pfarrsekretärin Sigrun Peckelsen“, betont Katharina Stoodt-Neuschäfer.

Mittlerweile hat die Stadt so manche Verträge mit Immobilienbesitzern geschlossen. Zum Beispiel mit der Deutschen Rentenversicherung. „Sie gibt ihre Wohnungen nicht an den Markt, sondern reserviert sie für Ukrainer“, so der Bürgermeister. Zwar würde diese hierfür keine Gewinnmieten verlangen, doch sie lägen trotzdem oberhalb der Sozialmieten – für die Differenz käme wiederum die Stadt auf. Auch so manche Privatleute hätten ihre Immobilien an die Stadt vermietet, damit sie sie mit Unterstützung der Ukrainehilfe an die Geflüchteten verteilen könne.

Am kommenden Samstag, 2. April, um 12.30 Uhr wird es auf dem Kapuzinerpatz wieder eine Mahnwache geben. Hierzu hat Generalkonsul Vadym Kostiuk seine Teilnahme und eine Ansprache zugesagt.

Nun kommen also in Kürze auf einen Schlag weitere 32 Personen in der Kurstadt an. Es handelt sich um Jugendliche sowie betreuende Mütter und Trainer, die sich in der Fußballer-Nachwuchsschule Polissya in Zhytomyr aufgehalten hatten, als es durch russische Bomben zerstört wurde. „Wir können sie vorerst im Haus St. Michael unterbringen“, berichtet Helm und ergänzt sichtlich betroffen: „Selbst wenn sie wollten, könnten einige unter den Jugendlichen überhaupt nicht zu ihren Eltern zurückkehren, weil es sie nicht mehr gibt.“

Entsprechend groß ist die Bereitwilligkeit und das Engagement, weiteren Wohnraum zu finden und zur Verfügung zu stellen. Es gebe allerdings noch viele Einliegerwohnungen in Königstein, die seit Jahren leer stünden. „Wir verstehen natürlich, dass viele Vermieter keinen Mieter-Stress mehr haben möchten, daher wollen wir Muster-Verträge entwerfen, die für beide Parteien ausgewogen sind“, kündigt der Rathauschef an.

„Wir brauchen dringend Wohnraum für ganze Familien, denn wir können Eltern und Kinder nicht voneinander trennen.“ – Christian Schönwiesner von der Ukrainehilfe Königstein.

Denn zu berücksichtigen seien nicht nur weitere Neuankömmlinge. Auch die Menschen, die aktuell ein Dach über den Kopf bekommen haben, können nicht alle dort bleiben, wo sie gerade sind: „Das geht selbst mit einem lieben Besuch auf Dauer nicht gut.“ Diesen Gastgebern müssten daher Perspektiven geboten werden: „Wir müssen den Menschen Hilfe beim Helfen geben.“ Daher würden in Kürze sogenannte Gastgeber-Meetings angeboten werden, in denen diese selbst Fürsorge erfahren sollen. Darüber hinaus seien manche Immobilien nur vorübergehend zur Verfügung gestellt worden. Dazu gehört ein Haus, in dem aktuell vier Familien untergebracht sind, die jeweils mehr als vier Personen zählen. „Wenn wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, wird es uns auch gelingen, diese Menschen für zwei bis drei Jahre zu integrieren“, sagt Christian Schönwiesner. Denn alle Geflüchteten hoffen, bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren und wollen gar nicht auf Dauer hier bleiben. Der Zeitfaktor in punkto Dauer ist jedoch von niemandem einschätzbar.

Auch werde eine größere, zentrale Räumlichkeit benötigt, in der sich die Ukrainer selbst miteinander treffen können, um Gespräche miteinander zu führen und vielleicht sogar gemeinsam Traumatas zu bewältigen. Sie solle darüber hinaus für Deutsch-Unterricht, einfache Come togethers und vielleicht auch ein kleines Ladenlokal nutzbar sein. „Die bereits angelaufenen Sprachkurse für Erwachsene sind bereits überlaufen“, weiß Katharina Stoodt-Neuschäfer zu berichten.

Nicht allein mit Blick auf Königstein, sondern auch auf andere Kommunen stellt Leonhard Helm fest: „Die Zivilgesellschaft ist bei dieser Krise in einem fulminanten Ausmaß für die Flüchtlinge eingetreten.“ Ein Dank von Seiten der Ukrainer:innen sei jedoch nicht notwendig: „Sie und ihre Familien kämpfen in ihrer Heimat für unsere Freiheit“, sagen Katharina Stoodt-Neuschäfer, Leonhard Helm und Christian Schönwiesner unisono.

Doch eines stellt der Bürgermeister auch schon klar: „Ich habe bereits dem Hessischen Innenminister geschrieben, dass eine Stadt wie Königstein mit 300 Geflüchteten an ihrer Grenze angelangt ist. Irgendwann können wir nicht mehr.“ Damit nämlich kämen zwei Ukrainer:innen auf 100 Königsteiner:innen.

Für Wohnungsangebote steht die Mail-Adresse ukrainehilfe@koenigstein.de zur Verfügung. Für andere Hilfsangebote steht das ständig wachsende Forum https://ukrainehilfe-koenigstein.de zur Verfügung.