400 Jahre Landgrafschaft Hessen-Homburg

Eine Reise zu den Amtsdörfern

Von Petra Pfeifer, 14. August 2022

Hochtaunuskreis. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Wenn er noch dazu mit dem Förderverein des Kreisarchivs des Hochtaunuskreises und dem Verein für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg unterwegs ist, dann kann er auch noch sehr viel lernen. So geschehen bei deren jüngster Exkursion, die unter der Überschrift „Amtsdörfer“ gerade mal um „vier Ecken“ führt, genauer gesagt: nach Köppern, Seulberg, Oberstedten und Gonzenheim. Denn diese damaligen Dörfer bildeten 1622 neben der vor 400 Jahren frisch gebackenen Haupt- und Residenzstadt Homburg die Grundlage der Landgrafschaft Hessen-Homburg. Im Mittelpunkt der Exkursion stehen die Zeugnisse der Landgrafenzeit.

Und wer sich wundert, dass andere, heute womöglich bekanntere Ortschaften, nicht angesteuert werden, erhält von „Reiseleiter“ Gregor Maier, Vorsitzender des Geschichtsvereins, genaueste Auskunft: „Friedrichsdorf wurde erst 1687 gegründet, das alte Dorf Dornholzhausen ist um 1580 aufgegeben und die neue Waldenserkolonie 1699 gegründet worden.“ Dillingen sei zu der Zeit ebenfalls bereits untergegangen gewesen und erst 1804 neu gegründet worden, Kirdorf habe zur Grafschaft Königstein gehört und sei erst 1803 zur Landgrafschaft gekommen. Niederstedten wiederum, das einst zwar ebenfalls zum Amt Homburg gehörte, sei wie Mittelstedten 1622 schon längst untergegangen gewesen.

Erste Station: Köppern

In Friedrichsdorfs Stadtteil Köppern begibt sich die 30-köpfige Gesellschaft, die von Martin Hoffmann im bequemen Reisebus chauffiert wird, in die Kirche und trifft dort Ulrike Langhals vom Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde. Sie lebt seit Kindesbeinen in Köppern und hat viel Wissenswertes über den Sakralbau zu berichten, dessen 290. Geburtstag in 2021 begangen werden konnte: „Was mich immer beeindruckt hat, war, dass Menschen in Köppern den Landgraf um Genehmigung für diesen Bau bitten mussten.“ Ausschlag zur Bewilligung hätte gegeben, dass rund 30 Bürger die Garantie übernahmen, diesen zu begleiten und zu unterstützen. Mit Blick auf ein großes Wandbild an der rechten Seite verrät Ulrike Langhals: „Das ist die Stiftung eines Bürgers, der heil aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrte.“ Das an Rembrandt angelehnte 100-Gulden-Bild hat das Thema Bergpredigt. Das Prospekt der schönen Orgel wiederum stammt in Teilen noch von vor 200 Jahren und bis in die 80er Jahre des 18. Jahrhunderts habe es hier sogar eine Bürgy-Orgel gegeben. Auch auf das aktuelle Sorgenkind der Gemeinde macht die Köppernerin aufmerksam: „Wir stehen vor der großen Aufgabe, das Dach sanieren zu lassen.“

Eine kleine Ortsbegehung ist während des einstündigen Aufenthalts auch noch vorgesehen. Es geht zum Marktplatz, der als solcher heute kaum noch zu erkennen ist, das Köpperner Wappen wird erläutert, die für diesen Ort typischen Gebäude wie Gastronomie und Pfarrhaus gemustert und Gregor Maier sagt: „Köppern war traditionell ganz stark durch Mühlenbetriebe geprägt.“ Dann noch zwei Zahlen: „Vor dem 30-jährigen Krieg hatte Köppern 350 Einwohner, danach waren es nur noch 50.“ Um 1660/70 habe es dann Bemühungen gegeben, Neusiedler hierher zu bringen.

Exkurs: Köpperner Kriminalgeschichte: Mieger. Am 16. April 1937 wurde die grausig zugerichtete Leiche eines Köpperner Jagdaufsehers gefunden – mit einer Schusswunde, Messerstichen und Würgemalen. Die Mordkommission, die sofort die Ermittlungen aufnahm, staunte nicht schlecht, als bei ersten Hausdurchsuchungen in Köppern sage und schreibe 50 illegale Gewehre beschlagnahmt wurden und man zugleich bei der Suche nach sachdienlichen Hinweisen auf eine Mauer des Schweigens im Ort stieß. „Wilddiebshausen“ bürgerte sich damals als Spottname für Köppern ein. Schließlich fiel der Hauptverdacht auf den einschlägig vorbestraften Johann Mieger. Die Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen wirken beinahe wie aus dem Drehbuch eines Krimis: Ein Geständnis des Sohnes, der Widerruf dieses Geständnisses, Falschaussagen von Zeugen und schließlich die Wiederaufnahme eines „cold case“, nämlich des Mordes an dem Forstmeister Birckenauer 1917 in Obernhain, der ebenfalls Johann Mieger zur Last gelegt wurde. Und noch bei einem dritten Mordfall stand Mieger im Verdacht: 1922 wurde der Friedrichsthaler Ortsvorsteher Odenweller von hinten erschossen und in einen stillgelegten Bergwerksschacht geworfen, wo man die Leiche erst ein Vierteljahr später fand. Mangels Indizien blieb dieser Fall jedoch ungelöst – und ist es bis heute. In der Berichterstattung zum Prozess gegen Mieger entstand das Bild eines jahrzehntelangen, brutalen und zugleich einträglichen Wilderer-Daseins, das jetzt dramatisch endete: Am 15. Juli 1938 wurde an Johann Mieger wegen Mordes in zwei Fällen die Todesstrafe durch die Guillotine vollstreckt; sein Sohn wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Eine weitere Station ist der Lindenplatz, bevor es über die Brücke geht, ein unscheinbares, aber wichtiges Baudenkmal, das im Zuge des Baus der Chaussee entstand, die von Friedrichsdorf Richtung Homburg bzw. Rosbach/Friedberg führt. Auch ein kleine Einführung in die Geschichte der Mühlen gibt es noch, die einst entlang des Mühlgrabens standen: „Es gab acht bis zehn Mühlenbetriebe auf Köpperner Gemarkung entlang des Erlenbachs.

Dann wird es hohe Zeit, pünktlich um 11 Uhr geht es weiter.

Zweite Station: Seulberg

Beim Heimatmuseum erwartet Dr. Erika Dittrich den wissensdurstigen Trupp und vor dem Modell des Dorfes stehend erläutert sie: „Seulberg war das größte und reichste Dorf in der Landgrafschaft.“ Und vermutlich das älteste von allen Orten der ursprünglichen Landgrafschaft wurde es am frühesten erwähnt, nämlich 767 im Lorscher Kodex. Namensgeber war der Seulbach, der seinen Namen der hiesigen feuchten Niederung verdankt, der „Suhle“.

Es wird das Miniatur-Torgebäude mit großem und kleinem Tor ins Visier genommen, in dessen Fachwerk-Aufsatz einst Wohnungen untergebracht waren, aber auch ein Schmied und ein Gefängnis. Als der Schmied weg gewesen sei, nutzten die Seulberger die Gelegenheit, das Gebäude zu schleifen, um sich weiter auszubreiten. Noch heute ist dieser Stadtteil die größte Gemarkung Friedrichsdorfs.

Wissenswertes über die Kirchen wird erzählt, über das Deutsche Haus, das einst Freihof war, über den Herrenhof und ein paar unscheinbare, aber unschätzbar wertvolle hauchdünne Münzen werden bewundert: sogenannte Hohlpfennige aus dem Mittelalter, die aus Frankfurt, Kölner Raum und Frankreich stammen.

Und womit haben die Seulberger klassisch ihr Geld verdient? „Sie hatten einen Brennofen außerhalb der Stadt, in dem 1200 Töpfe gleichzeitig gebrannt werden konnten“, so Erika Dittrich. Hinzu kam noch ein Geheimnis der Töpfer: „Kurz bevor der Brand fertig war, haben sie frisches Grün in die glühende Kohle gegeben und der Ruß hat sich wie Teer drumherum gelegt, so dass die Behälter ohne Lasur wasserdicht waren.“ Somit konnten die Seulberger eine preiswerte, geschmauchte Ware herstellen, die sie auch in Frankfurt veräußerten. Bekannt ist außerdem, dass es um 1702 insgesamt 24 Meister und eine eigene Zunft der Ziegler gab.

Schließlich geht es hinaus auf die Straße Alt Seulberg. Der Töpfer-Brunnen wird besichtigt, die Teilnehmer erfahren, dass jeder der Backsteine, aus denen die Seulberger Kirche gebaut wurde, ein eigenes Gesicht hat, die Kirche selbst 50 Meter hoch und 20 Meter lang ist, und: „Der Seulberger identifiziert sich sehr mit dem Kirchturm – wenn er den nicht mehr sieht, bekommt er schon Heimweh.“

Am ältesten Haus, einem Pfarrhaus, angelangt wird das Augenmerk auf die dazugehörige Scheune und die Geschichte gelenkt, die sich darum rankt. Schließlich war sie der Schauplatz einer Begebenheit, die der Beginn der Seulberger Hexenprozesse war. „Es war als Dorf der Hexen und Zauberer verschrien“, so Dr. Erika Dittmann. Einem gewissen Conrad Lorenz wiederum sagte man sogar einst nach, ein Werwolf zu sein. Und so gibt es noch die ein oder andere Anekdote zum Schmunzeln und Gruseln, bevor die Zeit des Aufbruchs naht.

Dritte Station: Oberstedten

Oberstedten, das bei der Gebietsreform eigentlich nach Bad Homburg wollte, gehört heute zu Oberursel. Hier hat Andreas Mengel die Aufgabe übernommen, ein wenig über die Historie des Ortes zu berichten. Erst einmal geht es zum Kriegerdenkmal auf dem Alten Friedhof: „Es ist etwas kleiner als das auf dem Waisenhausplatz und stand ursprünglich vor der Kirche. Als diese 1954/55 umgebaut wurde, hat es ihren heutigen Platz gefunden.“ Das Ungewöhnliche an diesem Denkmal: Es sind darauf die Namen aller zu finden, die aus Oberstedten in den Deutsch-Französischen Krieg zogen – sowohl die der Gefallenen als auch die der Heimkehrer.

Nach einem kurzen Fußmarsch nehmen alle in der Kirche Platz. Es folgt ein Blick nicht nur in die kirchliche Geschichte Oberstedtens. „Die ersten Nachrichten über einen Kirchenbau hier stammen aus der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts“, referiert Andreas Mengel. Diese habe womöglich in Niederstedten gestanden. Zwar sei im Verlauf des 30-jährigen Krieg allgemein viel niedergebrannt worden, doch viele Wüstungen hätte es bereits im 15. und 16. Jahrhundert gegeben. So auch die von Niederstedten.

Bemerkenswert, dass es sich bei diesem Bau um die Mutterkirche der evangelischen Kirche in Bad Homburg handelt: „Im Jahr 1423 gab es ein Bittgesuch an den Erzbischof, Taufen auch in Bad Homburg zu erlauben, damit die Täuflinge von dort im Winter auf dem Weg hierher nicht erfrieren“, so Mengel. Dem wurde stattgegeben, das Taufrecht blieb jedoch in der Mutterkirche in Oberstedten. Dies und noch mehr weise darauf hin, dass Stedten bedeutender gewesen sei als Homburg, bevor es Stadtrechte bekam.

Auch der Umbau und der Hinweis darauf, dass die Kirche zuvor einen Dachreiter wie die Kirche in Köppern gehabt habe, kommen unter vielem anderem zur Sprache, doch die Zeit drängt, denn das vierte und letzte Amtsdorf steht noch auf dem Reiseprogramm.

Vierte Station: Gonzenheim

Im Kitzenhof trifft die Gruppe Karin und Ernst Henrich sowie Heinz Humpert vom Geschichtlichen Arbeitskreis Gonzenheim. Zunächst hat Ernst Henrich das Wort. Es sei ein morastiges Gebiet gewesen, in dem die Ortschaft entlang von zwei Bächen entstanden ist und der Namensbestandteil „heim“ weise darauf hin, dass es eine fränkische Gründung ist. Die Ersterwähnung falle ins Jahr 1270, als es im Eppsteiner Lehensbuch auftaucht. Das Dorf verfügte auch über eine Gerichtsbarkeit: „Der Galgen stand früher dort, wo heute der Europa-Kreisel ist.“ Hier seien sowohl Homburger als auch Gonzenheimer hingerichtet worden.

Und dann noch eine kleine Ergänzung: „Als Gonzenheim 1622 Amtsdorf wurde, hatte der Ort nur 50 Einwohner und war somit der kleinste von den vieren“, so Heinz Humpert. Außerdem berichtet er, dass Gonzenheim bereits 1937 von Bad Homburg eingemeindet worden sei, aber erst seit fünf Jahren gibt es einen Ortsbeirat, wodurch die Vertretung von Belangen des Stadtteils erheblich erleichtert wurde.

Der Kitzenhof selbst sei von einer Familie in drei Generationen von Schultheißen bewirtschaftet worden, bevor er Bürgermeisteramt und 1923 von der Gemeinde gekauft wurde. Nachdem die Feuerwehr hier für viele Jahre residierte, ist der Heimatverein eingezogen. 2013 schließlich habe es geheißen: „Hurra, wir haben ein Museum!“

Auch auf dieser Station kommt das Thema „Hexen“ auf. Es geht rüber zum Anwesen „Bachschuster“, das bereits vor 1600 erbaut wurde. Dort ist eine Gedenktafel angebracht, die an Gertrude Lorey, eine der Verurteilten erinnert. „Während der peinlichen Befragung gesteht sie, dass sie mit Leib und Seele dem Teufel verfallen sei“, berichtet Heinz Humpert. Wie der Tafel zu entnehmen ist, wurde sie erst im Jahr 2012 durch die Stadt Bad Homburg rehabilitiert.

Es folgen die Stationen Kirche, Pfarrhaus und 400-jährige Friedenseiche, die 1933 als Naturdenkmal geschützt wurde. Dann ein Halt beim Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr: „Dort befand sich zuvor, seit dem 18. Jahrhundert, das Schulgelände“, erläutert Karin Henrich. Habe es sich um 1770 lediglich nur um eine kleine Schulstube gehandelt, sei bereits vier Jahre später ein zweistöckiges Schulhaus und im 19. Jahrhundert ein zweites auf dem Schulhof errichtet worden. 1972 habe dies alles weichen müssen.

Erwähnung finden auch das Kartäuser-Gut in Alt Gonzenheim, das durch einen Großbrand 1797 zerstört wurde, die Stiftung der Landgräfin Christine Charlotte zugunsten der Armen und Waisen, eine der vier Grenzsäulen, auf die am 19. August 1934 von der Hitler-Jugend ein Anschlag verübt wurde, und das einstige Forellengut am Dornbach. Zu guter Letzt wird auf den Ortsrundgang mit seinen 21 Tafeln aufmerksam gemacht, bevor die Reisegesellschaft wieder im Bus Platz nimmt, um die Rundfahrt zu beenden. Zufrieden, aber aufgrund der sommerlichen Temperaturen auch recht müde erreicht sie wieder den Startpunkt, den Parkplatz am Bad Homburger Heuchelbach.

Anstehende Exkursionen

Unter der Überschrift „Spurensuche nach den ältesten Orgeln im Taunus“ anlässlich des Orgelfestivals Fugato geht es am 14. September per Bus zunächst auf die Saalburg. Denn dort sind Reste römischer Orgelbaukunst zu besichtigen Dann geht es weiter nach Usingen und schließlich nach Grävenwiesbach. Denn dort sind ebenfalls bedeutende alte Orgeln in den Kirchen zu besichtigen. Während Susanne Rohn, Kantorin der Erlöserkirche, die Instrumente erklingen lässt, erläutert Gregor Maier historische Hintergründe. Diese „Reise“ dauert von ca. 14 bis 18 Uhr

Am 24. September wird das Thema „Die Kelten im Taunus“ behandelt. Hierbei wird das Heidetränk-Oppidum sowie das Vortaunusmuseum mit der anlässlich des Keltenjahres laufenden Ausstellung „Spuren aus keltischer Zeit im Hochtaunuskreis“ besucht. Diese Exkursion startet um 9 Uhr am Informationszentrum an der Hohemark und dürfte bis 17 Uhr dauern.

Weitere Informationen und Anmeldung: https://www.geschichtsverein-hg.de/veranstaltungen